Montag, 11. Juli 2016

Luther tanzt (Deutsche Harmonia Mundi)

„Ich habe oft auf Reisen nur vom Gesang der Mädchen und der Pflüger auf den Feldern wahrgenommen, an welchem Ort nach welcher Kirchen- lehre geleitet und gelebt wird“, so schrieb Philipp Melanchthon. Martin Luther war der Musik bekanntlich sehr zugetan; er sang leidenschaftlich gern und spielte selbst auch Laute. Dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass nicht gregorianische Weisen, sondern bekannte Melodien aus der Reformationszeit über einen langen Zeitraum hinweg den evangelisch-lutherischen Gottesdienst prägten. 
Das ist allerdings keineswegs selbstverständlich. Denn an der Liturgie änderte sich zunächst nichts, erläutert Dr. Christoph G. Schmidt im Beiheft. Der musikbegeisterte Schleswiger Archäologe hat The Playfords bei der Arbeit an diesem Album beraten. Zwar entstanden in der Reforma- tionszeit und auch danach zahlreiche Lieder; Luthers Freund Johann Walter beispielsweise gilt als Urkantor der evangelischen Kirche. Doch ihren Platz hatten sie zunächst im Privatbereich – vor allem in der häuslichen Andacht. Von dort aus eroberten die Kirchenlieder schließlich auch den Gottesdienst, so Schmidt. 
The Playfords, benannt nach dem Sammelband The English Dancing Master von John und Henry Playford, sind ein mitteldeutsches Ensemble, das sich in erster Linie der europäischen Tanzmusik aus Renaissance und Frühbarock verschrieben hat. Die originalen Melodien – oftmals ist nur eine Melodiestimme überliefert – singen und spielen sie auf Nachbauten historischer Instrumente. Dabei geht es ihnen weniger um museal korrekte als vielmehr um lebendige, zeitgemäße Interpretationen. 
Auf der jüngsten CD, der ersten bei dem Label Deutsche Harmonia Mundi, spürt das Ensemble frühen Kirchenliedern nach – und ihren weltlichen Zwillingen, denn ein beliebtes Verfahren, ein neues Lied zu erschaffen, war seinerzeit die sogenannte Kontrafaktur: Man nehme eine bekannte Melodie, und dichte einfach einen neuen Text darauf. Ein klassisches Beispiel dafür ist Martin Luthers Vom Himmel hoch, da komm ich her, nach dem Reigen Ich komm aus fremden Landen her. Paul Gerhardts andächtiges O Haupt voll Blut und Wunden basiert auf Hans Leo Hasslers Mein G'müt ist mir verwirret, wie überhaupt so manche fromme Weise ziemlich deftig weltliche Wurzeln hat. 
Wer die alten Kirchenlieder in bunter Mischung mit den ursprünglichen Fassungen hören möchte, verjazzt und ziemlich modern improvisierend umrankt von Annegret Fischers Blockflöten, der sollte sich diese CD besorgen. Wer sich durch das tänzerisch-frohsinnige Herangehen der jungen Musiker an die alten Weisen und durch Arrangements, die alle irgendwie ähnlich klingen, eher genervt fühlt, der sollte allerdings dieses Album meiden. Eines ist nicht schwer vorherzusagen: Live dürfte dieses Programm der Playfords beim Publikum gut ankommen – und das Luther-Jubiläum naht...

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