Mittwoch, 13. April 2011

Haydn: Die Jahreszeiten (Profil)

Nach dem Tode seines langjährigen Dienstherren Fürst Nikolaus 1790 kehrte Joseph Haydn (1732 bis 1809) nach Wien zurück. Er ge- dachte, fürderhin in Ruhe das Dasein eines Pensionärs zu führen - doch daraus wurde nichts. Denn der Londoner Geiger und Konzert- veranstalter Johann Peter Salo- mon überredete ihn, nach Groß- britannien zu kommen, und dort sechs neue Sinfonien uraufzufüh- ren. Und weil die erste Konzert- reise 1791/92 ein großer Erfolg wurde, ging Haydn 1794/95 gleich noch einmal nach London. 
In der britischen Hauptstadt musizierte der Österreicher aber nicht nur, er besuchte auch etliche Konzerte und traf Kollegen. So hörte er einige von Händels Oratorien, und war davon so angetan, dass er selbst daran ging, ähnliche Werke in deutscher Sprache zu schaffen. Ideen brachte er aus England mit - und so entstand zunächst Die Schöpfung (1798), die vom Publikum geradezu enthusiastisch auf- genommen wurde. 
Baron Gottfried van Swieten schuf anschließend einen weiteren Text, diesmal nach dem Versepos The Seasons von James Thomson. Haydn scheint die Arbeit daran nicht ganz leicht gefallen zu sein. Auch die Wiener reagierten mit einer gewissen Zurückhaltung auf das Werk, dem eine Handlung fehlt. Die Jahreszeiten (1801) sind eher Idyllen, Genrebilder; und die drei auftretenden Personen Simon, ein Pächter (Bass), Hanne, dessen Tochter (Sopran) und Lukas, ein junger Bauer (Tenor) sind nicht wirklich Helden. Der Verklärung des Landlebens, ganz im Sinne Rosseaus, scheint Haydn eine gewisse Ironie entge- gengesetzt zu haben. So schuf er einen köstlichen Chor zum Lobe des Fleißes - wer dieses Stücklein für bare Münze nimmt, der hat keine Ohren am Kopf. Und über die Musik, mit der er das Weinfest des Landvolkes schildert, schrieb Haydn einst: "Einen so komischen Kontrapunkt und eine so besoffene Fuge habe ich noch nie geschrie- ben." 
Ansonsten muss er sich mit dem Libretto ziemlich geplagt haben, es ist jedenfalls überliefert, dass er über den "französischen Abfall" murrte. Der bürgerlichen Chorbewegung freilich war das egal - und die Liedertafeln und Gesangsvereine hatten auch kein Problem mit diesem biedermeierlich-verklärten Lob des Landlebens. So kam es, dass ausgerechnet dieses Oratorium über einen langen Zeitraum sehr beliebt blieb. 
Diese Aufnahme aus dem Jahre 1994 dürfte dazu beitragen, dass dies auch so bleibt. Wolfgang Sawallisch führt Chor und Symphonie- orchester des Bayerischen Rundfunks ohne Mätzchen, schlicht und gerade. Die drei Solisten singen sehr hörenswert, allen voran die exzellente Sopranistin Ruth Ziesak. Gemeinsam mit dem Bassisten Alfred Muff sowie dem amerikanischen Tenor Robert Gambill ge- staltet sie die textlich mitunter ziemlich schlichten Partien - "Außen blank und innen rein / muss des Mädchens Busen sein, / wohl deckt ihn der Schleier." So etwas überzeugend zu interpretieren, das ist eine Leistung. 

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