Samstag, 31. Juli 2010

Vieuxtemps: Violin Concertos 4 & 5 (Hyperion)

Die Solokonzerte von Henry Vieuxtemps sind keine leichte, gefällige Kost. Das Violinkonzert Nr. 4 in d-Moll op 31 schuf er in
St. Petersburg, wo er ab 1846 als Hofgeiger und Solist am Kaiser- lichen Theater engagiert war, und außerdem am Konservatorium unterrichtete. Vieuxtemps hielt dieses Konzert für sein bestes; Berlioz bezeichnete es als "Sinfonie mit Solovioline".
Das trifft möglicherweise ziemlich gut den Kern der Dinge; das Werk ist nicht nur umfangreich, sondern auch hochdramatisch. Und tatsächlich dauert es erstaunlich lange, ehe der Solist in den ersten Satz mit einstimmt. Dafür ist dann aber auch gleich eine Kadenz zu absolvieren, die es schwer in sich hat. Nicht umsonst gilt Vieuxtemps als der Erbe Paganinis; der renommierte Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick sah ihn und Joseph Joachim seinerzeit als beste Geiger der Welt.
Viviane Hagner hat ein Händchen für diese Musik; die Wahlberlinerin gab ihr internationales Debüt als Zwölfjährige, und spielte bereits ein Jahr darauf bei dem legendären gemeinsamen Konzert des Israel Philharmonic Orchestra und der Berliner Philharmoniker in Tel Aviv unter Zubin Mehta. Ihr Repertoire ist ähnlich umfangreich wie ihr Konzertkalender. 
Die Solistin musiziert auf dieser CD gemeinsam mit dem Royal Flemish Philharmonic unter Martyn Brabbins.  Sie spielt die Sasserno-Stradivari, von der Nippon Music Foundation zur Verfügung gestellt, und überzeugt durch ihr ungemein differenziertes Musizieren ebenso wie durch ihre Virtuosität. Rasant absolviert sie die Tripel- und Quadrupelgriffe der Kadenz des ersten Satzes - und lässt gleich darauf die Violine beseelt im Duett mit der Harfe singen. Doch bei aller Ro- mantik wird ihr Spiel nie seicht und oberflächlich. 
Das gilt auch für das Violinkonzert Nr. 5 in a-Moll op. 37, das Vieux- temps 1838/39 für seinen Freund Hubert Léonard geschrieben hat - als Prüfungsstück für einen Wettbewerb am Brüsseler Konservato- rium. Das Werk wurde speziell dafür geschaffen, dass die Studieren- den ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen können, und gefiel den Geigern dann so gut, dass es sich bis heute im Repertoire gehalten hat. Insbesondere das Adagio, das eine seinerzeit bekannte Opern- melodie zitiert, verleitet zum "Schönspielen".
Auch die Fantasia appassionata op. 35 beginnt gemessen bis drama- tisch, und endet rhapsodisch, ja, ekstatisch. Mit ihrem schlanken, strahlenden Ton und intelligenter Phrasierung gerät Hagner keine Sekunde auch nur in die Nähe von Kitsch - sie bekennt sich durchaus zum Pathos, vermeidet jedoch Bombast und Überschwang. Sie gehört ohne Zweifel nicht zu den "Geigenmädchen", wie sie derzeit von einigen Plattenfirmen gekonnt vermarktet werden, sondern zu den führenden Violinvirtuosen ihrer Generation. Hyperion ist damit eine echte Entdeckung gelungen. Brava!

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