Samstag, 19. Oktober 2013

Wagner: Opera Arias - Simon Estes (Newton)

Diese CD aus dem Hause Newton erinnert an einen großartigen Sänger: Simon Estes, Jahrgang 1938, der insbesondere als Wagner-Bariton internationales Renommee erlangte. Der Afro- amerikaner, Sohn eines Berg- mannes, studierte ursprünglich Medizin und musizierte in einer Universitätsband. Dort wurde sein Gesangstalent erkannt, und er erhielt ein Stipendium für die Juilliard School of Music in New York.
Er gab sein Debüt 1968 als Oberpriester Ramphis in Verdis Oper Aida an der Deutschen Oper Berlin, und war bald auf allen bedeutenden Opernbühnen der Welt zu erleben. So sang er 1978 in Bayreuth die Titelrolle in Wagners Fliegendem Holländer – in der Harry-Kupfer-Inszenierung, was für manchen Opernbesucher dort sicherlich gleich doppelt einen Schock bedeutete. Mit einem Ausschnitt aus dieser Partie ist Estes auch auf dieser CD zu hören, die eine Aufnahme aus dem Jahre 1983 wieder zugänglich macht.
Schon hier fällt auf, dass der Sänger nicht nur schön, sondern auch ausdrucksstark singt. Wie wundervoll sein Bariton insbesondere auch in der Höhe klingt, und wie italienisch er seine Wagner-Partien gestaltete, das ist aber besonders gut an zwei Ausschnitten aus der Walküre festzustellen. Dort ist zugleich Eva-Maria Bundschuh als Brünnhilde zu hören – wundervoll! 
Die Aufnahme endet mit einem Ausschnitt aus Parsifal. Hier ist Estes als Amfortas zu erleben, gemeinsam mit Heinz Reeh als Titurel. Es musiziert die Staatskapelle Berlin unter Heinz Fricke, und man muss wirklich sagen: Nach einer Wagner-Einspielung von solcher Qualität muss man heute, trotz Jubiläumsjahr, lang suchen. Auch wenn Estes die deutschen Vokale nicht vollkommen akzentfrei gelingen – aber man versteht jedes Wort, und die Figuren lässt der Sänger geradezu vor den Ohren des Zuhörers entstehen. Wie majestätisch er als Wotan auftritt, wie liebevoll er sich dann von seiner Tochter Brünnhilde verabschiedet, wie er als Amfortas klagt – das ist Oper, wie wir sie gern immer hätten. Bravo!  

Samstag, 12. Oktober 2013

Hexameron (MDG)

Hexameron heißt ein Variations- werk, das auf Anregung Franz Liszts entstanden ist, und zu dem bedeutende Virtuosen seiner Zeit jeweils eine Variation beigesteuert haben: Eingebettet in musikali- sches Material von Liszt, erklingen Variations de Bravoure sur la Marche des Puritains de Vincenco Bellini von Frederic Chopin, Sigismund Thalberg, Johann Peter Pixis, Henri Herz und Carl Czerny. Der Wettstreit der Tastenlöwen, für den dieses brillante Stück wohl gedacht war, ist dann allerdings nie verwirklicht worden. 
Nun haben ein Mentor sowie fünf Pianisten am Beginn ihrer Laufbahn das Werk bei Dabringhaus & Grimm eingespielt. „Ich war eingeladen zu einem denkwürdigen Konzert mit jungen Künstlern aus Deutsch- land, Frankreich, Japan, Österreich und Spanien zur gemeinschaft- lichen Aufführung des Hexameron – und habe unmittelbar darauf alles daran gesetzt, dieses Ereignis für die Platte zu dokumentieren“, berichtet Werner Dabringhaus. 
Johann Blanchard, Leon Buche, Carlos Goicoechea, Caroline Sorieux, Kanako Yoshikane und Claudius Tanski, Professor am Salzburger Mozarteum, teilen sich in das Werk – und zeigen dabei, wie sehr unterschiedlich diese Virtuosenmusik gespielt werden kann. Von einem Wett-Konzertieren kann auch hier keine Rede sein; jeder Hörer wird wahrscheinlich andere Favoriten finden. „Es geht hier nicht um Dominanz, sondern um Vielfalt auf hohem Niveau“, schreibt Dabringhaus im Beiheft. „Danach strebt nicht nur die Musik, sondern dies ist gesellschaftliches Überlebenskonzept für die Zukunft!“ Ein kluges Wort, das man nur unterstreichen kann. 

Works for String Orchestra (Genuin)

Die Deutsche Streicherphilhar- monie ist ein ganz erstaunliches Orchester – denn was sich auf dieser Aufnahme so professionell anhört, das wird vom musikali- schen Nachwuchs gespielt. Der Name dieses Ensembles hat seit seiner Gründung anlässlich der Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 in Berlin mehrfach gewechselt. Doch hervorragend musiziert wird von den Mädchen und Jungen, die dieser Elite-For- mation angehören, noch immer. Sie sind zwischen elf (!) und 19 Jahre alt, und die besten Schüler der Musikschulen in ganz Deutschland. 
Diese CD ist zugleich die letzte Einspielung der jungen Musiker, bei der Michael Sanderling am Pult gestanden hat. Er übergibt nun nach zehn Jahren die künstlerische Leitung an seinen Nachfolger Wolfgang Hentrich. Mit einer beeindruckenden Werkauswahl dokumentiert diese CD, wie exzellent ausgebildet der Streichernachwuchs hierzu- lande ist – und mit welcher Begeisterung die jungen Musiker bei der Sache sind. 

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Paganini: Violin Concerto No. 5 (Naxos)

Noch eine CD mit Werken von Niccolò Paganini (1782 bis 1840), seufzt der Rezensent, und drückt die „Play“-Taste. Doch schon das erste Stück, das erklingt – das Moto perpetuo op. 11 – lässt aufhorchen. Und im Anschluss daran überzeugt dann das fünfte Violinkonzert vollends, diese Aufnahme bis zum Schluss anzu- hören. 
Iwan Potschekin musiziert wirklich brillant, und sein Zusammenspiel mit dem Russian Philharmonic Orchestra unter Dmitri Jablonski ist vom ersten bis zum letzten Ton eine Freude. Die Musiker spielen Paganinis Werke nicht als virtuose Solisten-Turnübung mit Orchesterhintergrund, sie nehmen sie vielmehr ernst und gestalten sie mit großer Sorgfalt. Das Ergebnis begeistert – dies ist eine der besten Paganini-Einspielungen, die ich je gehört habe. Und die I palpiti op. 13 setzen einen würdigen Schluss- punkt. 

Montag, 7. Oktober 2013

Gesualdo: Sesto Libro di Madrigali 1611 (Glossa)

Noch vor hundert Jahren erregten die Kompositionen von Carlo Gesualdo (1566 bis 1613) eher Schauder denn Bewunderung. So schrieb Charles Burney, ein be- deutender englischer Musikexper- te des 18. Jahrhunderts, weitge- reist und welterfahren: And as to his modulation, it is so far from being the sweetest conceivable, that, to me, it seems forced, affected, and disgusting. Noch Werner Herzog porträtierte in seinem Film Gesualdo – Tod für fünf Stimmen den Fürsten von Venosa als einsamen Mann am Rande des Wahnsinns. 
Seine Zeitgenossen hingegen hielten die Werke Gesualdos mitnichten für exzentrisch. So lobte der Genueser Simone Molinaro (1565 bis 1615), der alle sechs Madrigalbücher des Komponisten in einem beeindruckenden Neudruck vorlegte, die Kompositionen, sie seien „canore perle stillate nella conca dell'eterna bellezza da'raggi del Prencipe di Venosa“
Hört man das sechste Madrigalbuch aufmerksam, so wird man feststellen, dass die scheinbare Modernität der Tonsprache Gesualdos in erster Linie ein Missverständnis ist – denn der Komponist setzt grundsätzlich auf die musikalischen Mittel seiner Zeit. Er konnte es sich jedoch leisten, Struktur und Ausdruck zu perfektionieren, und dabei die Regeln bis an die Grenzen auszuloten. 
Interpreten seiner Werke heute stellt dies vor Probleme. Denn die Aufführungstraditionen solcher Musik sind abgerissen; das Wissen und die Fertigkeiten sind verloren und müssen mühsam rekonstruiert werden. Das, was wir heute erreichen, ist lediglich eine Annäherung an jene längst entschwundenen Klänge. Und gar nicht selten erscheint uns das, was die alten Noten vorgeben, sehr ungewohnt und tech- nisch extrem anspruchsvoll. 
Das gilt nicht zuletzt auch für die Stimmbücher des legendären Libro Sesto Gesualdos. Es gibt nicht viele Sänger, die sich an diese kompli- zierte Materie wagen. Die Spezialisten von La Compagnia del Madri- gale haben sich damit gründlich beschäftigt, und eine Aufnahme für Glossa eingespielt. Man staunt ein wenig über den satten Sound – und freut sich dann über die Routine, mit denen die acht Sängerinnen und Sänger durch Gesualdos kühne Harmonien navigieren. Diese Auf- nahme setzt ohne Zweifel Maßstäbe. 

Sonntag, 6. Oktober 2013

Opera! - Sharon Kam (Berlin Classics)

„Ich liebe die Oper! Ich gehe ebenso gern in die Oper wie ins Konzert, und ich bewundere diese besondere Art des Musizierens quasi aus der Entfernung“, berich- tet Sharon Kam im Beiheft zu dieser CD. „Andererseits ist die Oper mir aber auch sehr nah, denn mein Mann Gregor ist Operndiri- gent, und gemeinsam hören und studieren wir so ziemlich alles, was bei uns beiden jeweils an- liegt.“ 
Nun hat die Klarinettistin dieser Leidenschaft nachgegeben – und bereichert zugleich das Konzertrepertoire für dieses Instrument um einige attraktive Stücke. Denn für diese CD hat Sharon Kam nicht einfach Arien eingespielt, bei denen die Klarinette den Part der Gesangsstimme übernimmt. Die Arrangeure Andreas N. Tarkmann und Jonathan Seers erstellten für die Musikerin vielmehr Bearbei- tungen, die an die Opernparaphrasen der Romantiker erinnern. „Wichtig war uns dabei immer eine durchdachte Dramaturgie, die neben Bravourstücken auch die großen Gefühle berücksichtigt, die zur Oper gehören“, erläutert Sharon Kam. 
So ist sie in der glücklichen Lage, die teilweise gar nicht so bekannten Melodien in Bearbeitungen vorzustellen, die den Möglichkeiten von Klarinette und Kammerorchester raffiniert angepasst wurden. Dabei wirkt die Solistin mit dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn unter der Leitung seines Chefdirigenten Ruben Gazarian zusammen. Das erweist sich als eine gelungene Kombination, die es der Klarinettistin ermöglicht, ihren Operntraum auszuleben. Kam musiziert temperamentvoll und bringt die Facetten der ausgewählten Musikstücke gekonnt zum Funkeln. Diese CD präsentiert Melodien von Gioachino Rossini, Giuseppe Verdi, Giacomo Puccini, Amilcare Ponchielli und Ermanno Wolf-Ferrari als brillante Konzertstücke für Klarinette – diese Metamorphose ist grandios gut gelungen, und hinreißend musiziert wird obendrein. Unbedingt anhören!  

Samstag, 5. Oktober 2013

Zani: Complete Cello Concertos (Capriccio)

Dies ist eine weitere Entdeckung, die wir Rudolf Franz Erwein, Graf von Schönborn (1677 bis 1754) verdanken. Denn der spielte nicht nur gern Violoncello, er sammelte auch Musikalien. Und in der Kollektion, die sich noch heute in Wiesentheid bei Würzburg befindet, wurde schon so manches Musikstück aufgespürt, das Cellisten ebenso wie das Publikum jubeln lässt. 
Nun hat eine Musikwissenschaft- lerin aus Neuseeland in diesem Bestand zwölf concerti da camera für Violoncello und Streicher von Andrea Zani (1696 bis 1757) aufgefunden. Kurioserweise musste Dr. Jill Ward, die 2010 ihre Dissertation an der University of Canterbury in Christchurch geschrieben hat, dazu nicht einmal ihre Heimat verlassen – die modernen Kommunikationstechnologien machen's möglich. Mittlerweile hat Ward eine Gesamtausgabe aller derzeit bekannten Werke von Zani vorgelegt, sowie eine Biographie des Musikers. 
Viel ist freilich über sein Leben nicht herauszufinden. Zani war der Sohn eines Geigers aus Casalmaggiore, einer kleinen Stadt in der Nähe von Cremona. Er begann seine musikalische Ausbildung bei seinem Vater, und setzte sie dann bei zwei Musikerkollegen fort. Irgendwann ging er nach Wien; Ward vermutet, dass ihn Antonio Caldara, Vizekapellmeister am kaiserlichen Hof, zu diesem Schritt ermutigt haben könnte. Und irgendwann ist er dann auch wieder nach Italien zurückgekehrt. Dort hat er ab 1738 einige Spuren hinterlassen. Belegt ist, dass er 1757 auf einer Reise nach Mantua an den Folgen eines Kutschenüberschlags gestorben ist. 
Die Violoncello-Konzerte, die Zani für den Grafen von Schönborn komponiert hat, sind abwechslungsreich und geradezu betörend gut gelungen. „Schon das Partiturstudium und das Lernen des Soloparts war nur mit dem beglückenden Gefühl zu vergleichen, das man beim Betreten eines sonnenbeschienenen Neuschneefeldes in den Bergen hat – und das gleich zwölf Mal“, begeistert sich Martin Rummel, der die Werke gemeinsam mit dem Ensemble Die Kölner Akademie unter Leitung von Michael Alexander Willens eingespielt hat. „Da aber, wie schon Gustav Mahler wusste, das Beste der Musik nicht in den Noten steht, war der Beginn der ersten Probe mit dem Orchester, als die ersten Töne eines Cellokonzerts von Andrea Zani wahrscheinlich zum ersten Mal seit fast dreihundert Jahren wieder erklungen, einer der reichsten Momente meines bisherigen musikalischen Lebens. Die daran anschließende Woche bis zur Aufnahme des letzten Takes wird in ihrer Beglückung unvergessen bleiben.“ 
Etwas von diesem Glücksgefühl überträgt sich auch auf den Hörer. Zanis Konzerte sind eher graziös als betont virtuos. Sie bieten alles, was Cellokonzerte attraktiv macht – schöne Melodien, einen bunten Strauss an musikalischen Ideen, so dass sie nie langweilig werden, und obendrein eine tänzerische Leichtigkeit, die gute Laune verbrei- tet. Bravi! 

Anna Netrebko - Verdi (Deutsche Grammophon)

Die Deutsche Grammophon legt zum 200. Geburtstag Giuseppe Verdis ein neues Album mit Starsopranistin Anna Netrebko vor. Sie singt, neben berühmten Arien und Szenen beispielsweise aus Macbeth und Il Trovatore, auch weniger bekannte Stücke, darunter eine Szene aus Verdis Frühwerk Giovanna d'Arco. Begleitet wird die Sängerin durch das Orchestra Teatro Regio Torino unter Gianandrea Noseda. Über den „Luxus-Sopran“ - so zitiert das Label die „Opera News“ - mag man geteilter Meinung sein; die Stimme der Netrebko reißt mich jedenfalls immer noch nicht vom Stuhl. Aber sie wagt sich offenbar zunehmend an Partien, die nicht in erster Linie schöne Töne, sondern vor allem Ausdrucksvermögen fordern. 
Auf dieser CD gestaltet sie Figuren, die allesamt einen Knacks weg- haben. Das gilt nicht nur für den Wahnsinn einer Lady Macbeth. „Da gibt es diese wundervolle Arie der Elena aus I Vespri Siciliani“, zitiert das Beiheft Netrebko, „die über zweieinhalb Oktaven führt und dabei so eindringlich von Schmerz und Kraft erzählt. Oder jene der Elisabetta aus Don Carlo: Man hört, wie die großen kraftvollen Gefühle in ihr noch einmal aufleben, um gegen Ende im Pianissimo zu verklingen. Wir haben es hier mit einer Frau zu tun, in der jedes Gefühl bereits zu Lebzeiten abgestorben ist.“ Es gehört wenig Phan- tasie dazu, vorherzusagen, dass sich diese Silberscheibe verkaufen wird wie geschnitten Brot. Anna Netrebko sei der Erfolg gegönnt. Denn die Sängerin ist eine großartige Botschafterin der klassischen Musik, die viele Menschen für die Oper begeistert. 

Freitag, 4. Oktober 2013

Godowsky: Twelve Impressions (Naxos)

Leopold Godowsky (1870 bis 1938) war ein hervorragender Pianist. Seine eigenen Klavier- werke gelten als technisch anspruchsvoll, aber klanglich wenig ansprechend. Seine wenigen Stücke für Violine – sein Sohn Leo spielte dieses Instrument – sind sehr charmant; dem Profi sind sie heute wohl zu sehr Salonmusik. 
Dabei erklangen solche Stücke einst ganz selbstverständlich in den Konzerten der großen Virtu- osen. Fritz Kreisler beispielsweise hat ebenfalls derartige Werke geschrieben und gespielt. Von ihm sowie von Jascha Heifetz stammen auch Bearbeitungen von Godowskys Klaviermusik, die auf dieser CD erklingen. Ihnen hat aber auch Godowsky selbst Violin-Transkriptionen gewidmet. 
An diese Raritäten haben sich nun Nazrin Rashidova, Violine, und Roderick Chadwick, Klavier, gewagt. Bei Naxos präsentieren die Musiker einige der Violin-Arrangements. Sie sind brillant, aber nicht vordergründig Virtuosenfutter, und wirken mit ihren gediegenen Melodien beinahe nostalgisch. Man staunt, wie locker die beiden die Herausforderungen bewältigen. Godowskys Musik lohnt aber die Mühe, bravi!