Freitag, 8. Juni 2012

Handel: Esther (Linn)

Das Oratorium Esther gilt als das erste englische Werk dieser Gattung. Für die vorliegende Einspielung ist die Fassung rekonstruiert worden, die wohl 1720 in Cannons aufgeführt worden ist, wo Georg Friedrich Händel zwei Jahre lang als composer-in-residence bei Henry James Brydges, Duke of Chandos, lebte und wirkte.
Auch darüber, wer der Autor des Textes war, gibt es mehr Vermu- tungen als Erkenntnisse. Fakt ist aber, dass er auf einer Übersetzung der gleichnamigen Tragödie von Jean Racine durch Thomas Brereton basiert. Händel jedenfalls hatte als Oratorienkomponist bereits Erfahrung, denn in Italien hatte er zwei Oratorien geschrieben; sie dienten als Ersatz für Opern, die in Rom nicht aufgeführt werden durften.
Die Oratorien, die Händel in England schuf, unterscheiden sich von diesen Werken in erster Linie durch eine Vielzahl ausdrucksstarker Chöre. Seine späteren Werke wirken einerseits noch opernhafter - und andererseits haben sie von den deutschen Passionen gelernt, dass nicht allein die biblische Handlung, sondern vor allem auch die An- dacht des Publikums im Mittelpunkt stehen sollte.
Diese Aufnahme mit dem Dunedin Consort unter John Butt basiert auf der Forschung von John H. Roberts, der  2010 im Händel Jahrbuch Erkenntnisse publizierte, die er durch die Auswertung der heute noch auffindbaren Quellen gewonnen hat. Dazu gehören Händels Manu- skript, diverse Abschriften und andere Aufzeichnungen aus der Entstehungszeit des Oratoriums sowie etliche zeitgenössische Werke, die Roberts zum Vergleich herangezogen hat. Dadurch gelingt ihm sogar überzeugend die Datierung. Auch zur Struktur und zur Bese- tzung konnte er viele interessante Details beitragen.
Das macht die Einspielung spannend. Lediglich bei den Sängern - die Liste der Mitwirkenden in Cannons 1720 weist unter anderem vier Chorknaben aus, aber keine Soprane - erschien eine originalgetreue Besetzung nicht unbedingt erstrebenswert. Butt lässt die Esther durch Susan Hamilton singen, und den jüdischen Jungen durch Electra Lochhead. Den Priester der Israeliten singt der Countertenor Robin Blaze, den König Ahasver James Gilchrist, den Haman Matthew Brook und seinen Gegenspieler Mordecai Nicholas Mulroy. Als Israelisten sind auch Ashley Turnell und Thomas Hobbs zu hören - und auch die Ripienisten sind exzellent. Es lohnt sich also, diese Aufnahme anzuhören, zumal diese Version auch sonst einige Überraschungen bereithält. 

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