Sonntag, 24. Juni 2012

Albrecht Mayer - Schilflieder (Decca)

Einmal mehr sind Albrecht Mayer, Solo-Oboist der Berliner Philhar- moniker, in seiner Leidenschaft für die Kammermusik Entdeckungen gelungen. Auf der vorliegenden CD stellt er gemeinsam mit Tabea Zimmermann, Viola, Marie-Luise Neunecker, Horn, und Markus Becker, Klavier, Werke vor, die man im Konzert überwiegend selten oder gar nicht hören kann. Das liegt daran, dass Komponisten, die nicht zu den wenigen ganz bekannten zählen, vom Publikum wie von der Musikwissenschaft üblicherweise vergessen werden - einige von ihnen sogar schon vor ihrem Tode. Sie werden oft abfällig als "Kleinmeister" bezeichnet - und wenn man diese CD angehört hat, dann wird man verstehen, warum Mayer dieses Wort gar nicht leiden kann.
Denn sie enthält Werke in einer Qualität, über die man nur staunen kann. Das gilt für das Trio für Oboe, Horn und Klavier op. 61 von Heinrich von Herzogenberg ebenso wie für die Drei Romanzen für Oboe und Klavier op. 94, dem einzigen Werk für Solo-Oboe von Robert Schumann und dem einzigen Stück eines "Großmeisters" auf dieser CD. Wunderschön sind aber auch die Schilflieder - Fünf Fantasiestücke nach Gedichten von Nikolaus Lenau für Oboe, Viola und Klavier op. 28 von August Klughardt.
 "Wenn auf irgendein Stück der Begriff Romantik zutrifft, dann gilt das für Klughardts Schilflieder, die zum Besten gehören, was je für Oboe komponiert wurde", meint Mayer. Und da hat er wirklich recht. Doch nicht nur das Rascheln des Schilfs, das leise Murmeln der Wellen und das Emporsteigen des Mondes meint man zu hören. Diese Musik zitiert Natur, aber sie weist weit darüber hinaus - und darin ist sie in der Tat ausgesprochen romantisch. Die Schilflieder beschwören nicht nur den Schmerz einer verlorenen Liebe; sie zeigen zugleich, dass Musik immer auch Abstraktion ist, viel mehr noch als das poetische Wort, und dass der Ausdruck von Gefühl zugleich an sehr viel hand- werkliches Können, Überlegung und damit Distanz gebunden ist. Wie der Oboenvirtuose gemeinsam mit Zimmermann und Becker Klang- welten entstehen lässt, das ist ein Erlebnis.
Man höre aber auch Hornistin Neunecker, wie sie ihr Instrument zügelt, um im Trio ein Zwiegespräch mit der Oboe überhaupt erst möglich zu machen. Mayer selbst musiziert mit butterweichem, schmeichelndem, singendem Ton; das Wort "schwierig" scheint es für den Musiker nicht zu geben. Was er vorträgt, das wirkt perfekt. Und weil er Romantik nicht an ein Jahrhundert gebunden sieht, sondern an eine Geisteshaltung, ergänzt er seine Sammlung noch um den Liebesruf eines Faun für Englischhorn und Klavier von Hans Stein- metz, die Variationen für Oboe und Klavier op. 39 von Julius Weismann und Prelude-Improvisationen seines Pianisten Markus Becker.

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