Montag, 30. April 2012

Mozart: Piano Concertos Nos 24 in C minor & 25 in C major (BIS)

Aufnahmen der Mozart-Klavier- konzerte gibt es viele - wer eine Interpretation auf "zeitgenössi- schen" Instrumenten bevorzugt, der sollte sich diese hier unbedingt anhören. Denn der Kölner Akade- mie, geleitet von Michael Alexan- der Willens, und dem Pianisten Ronald Brautigam gelingt hier eine musikalisch gut ausbalancierte, inspirierte Einspielung, die rund- um hörenswert ist. Brautigam spielt ein Instrument, das Paul McNulty 1992 nach einem Vorbild von Gabriel Anton Walter (1752 bis 1826) angefertigt hat. Mozart war von den Fortepianos des Wiener Klavierbauers begeistert; 1782 er- warb er ein solches Instrument. Der Klang eines Hammerflügels aus der Werkstatt dieses Meisters unterscheidet sich von dem heutiger Standard-Konzertflügel wie Champagner von Cognac. Beides hat seinen Reiz, aber zu den Konzerten Mozarts passt das Prickeln und Perlen ganz eindeutig besser. 

Lully: Phaeton - Atys - Armide (Tudor)

Es ist schon eine amüsante Fuß- note der Musikgeschichte, dass diese Musik, die heute als typisch französisch gilt, von einem Italie- ner komponiert wurde: Giovanni Battista Lulli (1632 bis 1687) stammte aus Florenz. Er kam als Italienischlehrer der Cousine Ludwigs XIII., nach Frankreich. Es wird vermutet, dass er beim Spielen den jungen Ludwig XIV. kennenlernte. Die beiden Jungen waren Tanz und Musik ähnlich leidenschaftlich zugetan; sie haben offenbar mehrfach gemeinsam in Balletten getanzt, beispielsweise im Ballet royal de la nuit, wo Ludwig zum ersten Mal in der Rolle der aufgehenden Sonne vor das Publikum trat. 
So kam es, dass Jean-Baptiste Lully 1653 zum Compositeur de la musique instrumentale und 1661 zum Surintendant de la musique de la chambre du Roi avancierte. 1672 sicherte sich Lully zudem mit der Übernahme der Académie Royale de Musique das Monopol darauf, Opern aufzuführen. Das Pariser Opernorchester, das Lully auf Basis der Vingt-quatre violons du Roi etablierte, galt bald als größtes und bestes Orchester der Welt. 
Um die Werke Lullys auch mit anderen Besetzungen spielbar zu machen, bearbeiteten seine Verleger die Stücke. Denn im Norden Europas waren andere Stimmverteilungen üblich; auch standen an den kleineren Höfen zumeist deutlich weniger Musiker zur Verfügung. Das Capriccio Barockorchester hat auf dieser CD eine Auswahl cha- rakteristischer Sätze dreier wichtiger Werke des Komponisten einge- spielt, und zwar auf der Basis der Versionen, die bei Estienne Roger in Amsterdam erschienen sind. Phaeton, eine Tragédie en musique aus dem Jahre 1683, erfordert eine umfangreiche Besetzung mit etlichen Streichern, acht Bläsern und Cembalo. Atys, erstmals aufgeführt 1676, erklingt in einer geradezu kammermusikalisch anmutenden Variante mit solistisch besetzten Streichern, fünf Bläsern, Theorbe und Cembalo. Für Ouverture, Chaconne & Tous les autres Airs à jouer de l'Opéra d'Armide nach Lullys letzter Oper aus dem Jahre 1687, wurde eine Besetzung ausgewählt, wie sie wohl für eine mittelgroße Hofkapelle oder ein Collegium musicum der Barockzeit typisch war. 
Das Capriccio Barockorchester musiziert mit Esprit, Eleganz und tänzerischer Leichtigkeit. So gelingt dem Ensemble, das von seinem Konzertmeister Dominik Kiefer geleitet wird, eine der schönsten Lully-Aufnahmen, die man je zu hören bekam. Bravi! und, bitte, mehr davon. 

Sonntag, 29. April 2012

Bach: Brandenburg Concertos (Tafelmusik)

Das Tafelmusik Baroque Orchestra, 1979 gegründet und seit 1981 ge- leitet von Jeanne Lamon, ist Kana- das gefeiertes Originalklang-En- semble. Das Orchester mit Sitz in Toronto musiziert auf historischen Instrumenten oder ihren Nach- bauten. 
1993/94 hat Tafelmusik Bachs Brandenburgische Konzerte ein- gespielt. Dabei erweist sich, das das Ensemble bei Flöten, Strei- chern und Cembalo gut bis exzellent besetzt ist. Der Klang der Blechbläser  und der Oboen aber ist, vorsichtig gesagt, gewöhnungs- bedürftig - mein Fall ist das nicht. Überhaupt lässt die Aufnahme streckenweise Spielfreude, Leidenschaft und Dynamik vermissen. Das ist alles ganz solide, aber auch nicht mehr. Es fehlt an Würze, an Akzenten und oftmals auch an Gestaltungsideen. Und so rettet auch das schön gemachte, sehr informative Booklet diese Doppel-CD nicht. Schade. 

Donnerstag, 26. April 2012

Leonid Sabaneev: Piano Trios (Genuin)

Leonid Leonidowitsch Sabanejew (1881 bis 1968) war der Sohn eines russischen Gutsbesitzers. Obwohl er schon früh seine musikalische Begabung zeigte und den entspre- chenden Unterricht erhielt, stu- dierte er in Moskau Mathematik und Naturwissenschaften. Im Anschluss an seine Promotion aber widmete er sich der Musik. Sabane- jew komponierte, und schrieb Musikkritiken. Dabei vertrat er extrem moderne Positionen; so verkündete er, die Zukunft der Musik liege in der Ultrachromatik, und forderte die Aufteilung der Oktave in 53 Töne. 
Nach der Revolution 1917 gehörte er zunächst zu den hohen Funktio- nären der jungen UdSSR. So leitete er das wissenschaftliche Komitee des Staatsinstituts für Musikwissenschaft (GIMN) und die Musikab- teilung an der Akademie der Schönen Künste. Und er publizierte in Prawda und Iswestija
Als er sah, dass Stalin immer mehr Macht an sich brachte, floh Saba- nejew schließlich 1926 in den Westen, wo er sich in Paris bzw. in Nizza niederließ. So rettete er sein Leben, doch er verlor seine Heimat, wo er offenbar bis heute totgeschwiegen wird. Das ist ein Verlust, wie diese CD beweist. Sie enthält zwei seiner raren Großwerke. Das Trio-Impromptu op. 4 aus dem Jahre 1907 weist noch Spuren spätroman- tischer Strukturen auf. Sie erscheinen wie Spiegelscherben, die auf dem Schutt gelandet sind, und gelegentlich daraus hervorglänzen. Dieses Werk ist so komplex, dass man sich wundert, wie es Ilona Then-Bergh, Violine, Wen-Sinn Yang, Violoncello und Michael Schä- fer, Klavier, gelingt, es trotzdem zum Klingen zu bringen. 
Das gilt noch viel mehr für die Sonate pour Piano, Violon et Violon- celle op. 20 von 1923/24, ein musikalisches Monster mit einer Dauer von über einer halben Stunde, das wie ein Echo der politischen Ereig- nisse jener Jahre erscheint. Mit außerordentlicher formaler Strenge, dem Beharren auf drei Themen, drei Teilen und einer gewaltigen Tripelfuge im Zentrum versucht Sabanejew möglicherweise, die Schrecknisse in eine Struktur zu zwingen. Vergebens; die Musik ist hier wohl klüger als der Komponist. 
Wer diese beiden Werke angehört hat, der ahnt, dass dies wohl das Kammermusik-Ereignis des Jahres gewesen sein könnte. Diese CD dürfte den Musikern und dem Label Genuin Classics zahlreiche Preise und Auszeichnungen bescheren - verdient jedenfalls hätten sie sie. Danke für diese Entdeckung! 

Calmus Ensemble - Mythos 116 (Carus)

"Lieber Hörer", schreibt das Cal- mus Ensemble als Begleitwort im Beiheft zu dieser CD, "normaler- weise vermeiden wir bei der Planung von Konzerten und CDs das mehrfache Auftauchen dessel- ben Textes - bei der vorliegenden CD ist das Gegenteil der Fall. Warum? Als wir erstmals mit der Sammlung des Jenaer Kaufmanns Burckhard Großmann von 1623 in Berührung kamen, waren wir zustiefst beeindruckt von der Leidenschaft, mit der dieser Mann seinen Kompositionsauftrag in die Tat umsetzte." 
Burckhard Großmann (1575 bis 1637) war, um es genau zu sagen, Hofbeamter - 1602 wurde er Kanzleischreiber des Herzogs von Sachsen-Weimar, und später, ab 1616, war er als Amtsschösser in Jena und Burgau verantwortlich für die korrekte Berechnung und Betreibung der Steuern. Was Großmann damals erlebt hat, und welcher Art sein Gelübde war, das werden wir wohl nicht erfahren - doch sein Dankopffer, das er danach gebracht hat, liegt uns vor: Angst der Hellen / und / Friede der Seelen / Das ist / Der CXVI. Psalm Davids, durch etzliche vor= / nehme Musicos im Chur: vnd Fürstenthumb Sachsen / sehr künstlich vnnd ahnmutig vff den Text gerichtet, Mit V, / IV, III Stimmen componiret (...), im Druck erschienen 1623. 
Sechzehn etablierte Musiker hatte Großmann für dieses Projekt aus- gewählt, darunter waren Thomaskantor Johann Hermann Schein, Michael Praetorius, Rogier Michael und drei seiner Söhne, Christoph Demantius und Heinrich Schütz. Sie alle bat er schriftlich darum, Psalm 116 zu vertonen. Und im Vorwort berichtet er, dies geschehe "wegen einer sonderbahren grossen Wolthat / und wunderlichen Errettung Gottes / so er mir im Jahr 1616 recht nach dem 116. Psalm Davids / aus Väterlicher Gnade / Güte und Barmhertzigkeit erwie- sen"
Das Calmus Ensemble hat diese Sammlung nun für sich entdeckt - die Leipziger Sänger freuten sich, dass Großmann fünfstimmige Verto- nungen in Auftrag gegeben hat, und wählten für diese Einspielung die Werke "der beiden wohl bedeutendsten Komponisten" - Heinrich Schütz und Johann Hermann Schein - aus, dazu das Werk des Jenaer Kantors Nicolaus Erich. Außerdem beauftragten sie erneut zwei mitteldeutsche Komponisten, ihre Versionen hinzuzufügen. Der Leipziger Steffen Schleiermacher vertonte Psalm 116 in lateinischer Sprache. Er stellt dabei den Vers convertere anima mea in requiem tua in den Mittelpunkt, und deutet in seiner Musik ebenfalls stark den Text aus. 
Bernd Franke nannte die Form seiner Psalmvertonung, für die er auf Wunsch des Calmus Ensembles die englische Textversion nutzte, ein "variiertes Rondo". So gibt das Werk den Interpreten nicht nur die Freiheit, musikalische Motive relativ frei zu wiederholen, sie sollen sich dazu auch frei im Raum bewegen - was dazu führt, dass in jeder Aufführung seines Werkes andere Klänge entstehen. Außerdem wird nicht nur gesungen, sondern auch geflüstert, gesprochen und ge- schrien. Andere Zeiten, andere Ausdrucksmittel. 
Als Rahmen, der diese Kontraste abfängt, verwenden die Sänger die gregorianische Version des Psalms - und, o Zufall, es sind insgesamt 16 Teile geworden, die auf der CD zu hören sind. Das Calmus Ensemble singt erneut schön, aber leider nicht besonders ausdrucksstark. Dennoch vermittelt diese CD die Faszination, die vom Mythos 116 auch heute noch ausgeht. 

Nell' Autunno di Bisanzio - Guillaume Du Fay zwischen Orient und Okzident (Raumklang)

Als Konstantinopel 1453 von Sultan Mehmed II. erobert wurde, flüchteten zahlreiche Gelehrte aus dem untergehenden Byzantini- schen Reich. Sie suchten vor allem in Norditalien Zuflucht, und brach- ten Handschriften mit, die die Hu- manisten inspirierten und jenen Aufbruch aus dem scholastischen Zeitalter beförderten, den wir heute Renaissance nennen. 
Auch Musikern jener Zeit, ausge- bildet überwiegend nach franko-flämischer Tradition, verhalf der Kontakt mit Byzanz zu neuen Ideen, wie diese CD zeigt. So beklagte Guillaume Du Fay, der um 1425 auf Reisen Patras und Peloponnes kennengelernt hatte, in seiner Lamentatio sanctae matris ecclesiae Constantinopolitanae die Eroberung Konstantinopels. Vasilissa Ergo gaude, möglicherweise seine früheste Motette, schrieb er 1420 für die Hochzeit Theodors von Morea,  Sohn des byzantinischen Kaisers Manuel Palaiologos, mit der Prinzessin von Rimini, Cleofe Malatesta. 
Ein Threnos, ein Klagelied auf den Fall Konstantinopels, ist auch von Manuel Chrysaphes Lampadarios überliefert. Er war Kantor an der Hagia Sophia, und Sänger am kaiserlichen Hof. Nach der Eroberung Konstantinopels lebte er wohl in Serbien und auf Kreta. 
Die CD enthält zudem Werke von Johannes Legrant, Beltram Feragut und Ebreo da Pesaro. Sie werden vorgetragen von der Sängerin Theodora Baka, dem Ensemble für Alte Musik Ex Silentio unter Leitung von Dimitris Kountouras und dem Vokalensemble Arkys, geleitet von Giorgos Kyriakakis. 

Hubertusmesse auf Schloss Augustusburg (Auris Subtilis)

Welche Bedeutung die Jagd einst für Sachsens Kurfürsten hatte, das ist noch heute am Schloss Augus- tusburg bei Chemnitz zu erkennen. Es war eines der Jagdschlösser der Wettiner, und diese CD soll seine klingende Visitenkarte werden. Sie dokumentiert einen Jagdbrauch, der in vielen europäischen Län- dern gepflegt wird: Alljährlich wird am Hubertustag, dem 3. Novem- ber, von Hornisten die Hubertus- messe geblasen - üblicherweise auf dem Parforcehorn.
Nun haben Hornstudenten der Hochschule für Musik "Felix Mendels- sohn Bartholdy" in Leipzig, Klasse Professor Thomas Hauschild, diesen Brauch aufgegriffen, und unter Leitung ihres Lehrers eine solche Hubertusmesse in Augustusburg eingespielt. Anna Euen, Hsin Ju Lee, Cosima Schneider, Abel Perez Armas, Konrad Balint, Benedikt Euler, Miguel Jesus Herrera, Jakob Knauer, Francesco Lillo und Andreas Pöche blasen gemeinsam mit ihrem Lehrer Le Rendez-vous de chasse, die berühmte Fantasie von Gioacchino Rossini, La grande Messe de Saint Hubert nach Jules Cantin, die Siegfriedfantasie für acht Hörner von Karl Stiegler, die Konzertante Musik für acht Hörner op. 78 von Jan Koetsier und Carnaval romain op. 9 von Hector Berlioz. Die jungen Musiker spielen wunderbar - perfekt im Ansatz, sauber intoniert, homogen und präzise, dynamisch differenziert. Eine der schönsten Horn-CD überhaupt - unbedingt anhören!

Mittwoch, 25. April 2012

Scarlatti: La Colpa, il Pentimento, la Grazia (Capriccio)

Die Passions- und Osterzeit des Jahres 1708 brachte in Rom gleich zwei herausragende musikalische Ereignisse: In der Karwoche, am Mittwoch, erklang im Palazzo des Kardinals und Vizekanzlers des Heiligen Stuhls Pietro Ottoboni ein Passionsoratorium des italieni- schen Altmeisters Alessandro Scarlatti. Und am Ostersonntag folgte darauf im Palazzo des Prinzen Ruspoli die Resurrezione des 23jährigen Georg Friedrich Händel. 
Während dieses Werk durch die Händel-Forschung schon vor einiger Zeit wieder erschlossen worden ist, fand Scarlattis Oratorium lange keine Beachtung. Das hat Michael Schneider zum Anlass genommen, La Colpa, il Pentimento, la Grazia 1991 mit dem Orchester und Vokal- ensemble La Stagione erstmals wieder aufzuführen. 
Das abendfüllende Oratorio per la Passione di Nostro Signore Gesù Cristo erweist sich als theologisch hoch anspruchsvoller Diskurs zwischen den allegorischen Figuren Schuld, Reue und Gnade. Das Libretto dafür schrieb Ottoboni höchstpersönlich. Eingebettet darin erklingen die Klagegesänge des Jeremias - in italienischer Sprache, was eigentlich damals nicht üblich war. Scarlatti nutzt die Psalmodie, um ihr einen kunstvollen Orchestersatz beizufügen, der die Lamenta- tiones musikalisch ausdeutet. "Scarlattis Werk ist von einer außer- gewöhnlichen Ernsthaftigkeit und einzigartigen Ausdruckstiefe", resümiert Schneider in dem sehr informativen Beiheft. Dies lasse es "auch über die Passionszeit hinaus zu einem bedeutenden Zeugnis der Auseinandersetzung mit den Problemen menschlicher Existenz werden." 
Schneider entschied zudem, Scarlattis Oratorio durch die Lamenta- tione per il Mercordi Santo sowie Crocifissione e Morte di Nostro Signore Giesù Cristo, eine Cantate für Altstimme und Orchester, beides von Alessandro Stradella, zu ergänzen. Die Solopartien singen Mechthild Bach und Petra Geitner, Sopran, sowie Kai Wessel, Alt. 

Paul Badura-Skoda and Friends - Chamber Music (Genuin)

"Kammermusik ist die vollkom- menste Form des Musizierens", meint Paul Badura-Skoda.  "Wenn wir die Musizierarten der klassi- schen Instrumentalmusik mit den menschlichen Gesellschaftsformen vergleichen, dann nimmt die Kammermusik die Stellung der Demokratie ein, während ich das Wirken des Solisten mit Anarchie - jeder kann tun, was ihm beliebt - vergleichen möchte und die Kom- bination ,Dirigent mit Orchester' mit der Diktatur: ,Wehe dem, der sich nicht unterordnet!'" Badura-Skoda ist, bei aller Virtuosität, ganz offensichtlich ein leidenschaftlicher Demokrat. Und in dieser CD-Box finden sich einige seiner schönsten Kammermusik-Aufnahmen. 
Er spielte Mozart gemeinsam mit David Oistrach, Schubert mit Anto- nio Janigro und Jean Fournier, Brahms und Dvorák mit Wolfgang Schneiderhan und Boris Pergamenschikow, Brahms und Strauss mit dem Küchl Quartett. Als Zugabe gibt es eine CD, auf der Otto Schulhof, einer der Lehrer des großen Pianisten, das Dumky-Trio spielt und erklärt - 1954. 
Auch sonst stellt man bedauernd fest, dass die Musiker, mit denen Badura-Skoda hier derart einträchtig zu hören ist, zumeist schon in die himmlische Kantorei abberufen wurden. Das Faszinierende an diesen Mitschnitten ist, dass hier Menschen zusammen musizieren, die weniger miteinander wetteifern als vielmehr aufeinander hören, Ideen aufgreifen und Melodien fortsetzen - sehr kultiviert, und sehr beeindruckend. Diese Aufnahmen sind überaus harmonisch, da ist niemand, der sich in den Vordergrund drängt. Auch das Klavier bleibt stets gleichberechtigter Partner; niemals übertönt Badura-Skoda die Streicher. Es ist ein unglaublicher Genuss, ihnen zuzuhören. Bravi!

Mozart: Piano Concertos, Vol. 7 / Vol. 8; Zacharias (MDG)

Wie spielt man Mozart heute, wo seine Klavierkonzerte bereits in Dutzenden Versionen auf CD verfügbar sind? 
Christian Zacharias ist um eine Antwort nicht verlegen: Elegant und federleicht interpretiert er Mozarts Werke gemeinsam mit dem Orchestre de Chambre de Lausanne. Zacharias setzt ganz auf den Charme der Musik. Er vertraut Mozarts Ideen, und verzichtet auf diverse, in der Branche nicht unübliche Mätzchen. Und deshalb hört man diese Aufnahmen immer wieder gern. Bravi! 

Richter plays Bach - The Well-Tempered Clavier Book 1 (Melodija)

Eine der ganz großen Bach-Auf- nahmen ist bei Melodija wieder erhältlich: Swjatoslaw Richter hat am 20. und 21. April 1969 im Großen Saal des Moskauer Konser- vatoriums Bachs Wohltemperier- tes Clavier eingespielt. Wie er die 24 Präludien und Fugen spielt, das ist ein musikalisches Ereignis. Man hört diese Aufnahme noch heute mit Staunen an - was erneut meine These bekräftigt, dass die wirklich herausragenden Interpretationen an Musikerpersönlichkeiten ge- bunden sind, und nicht an Modetrends und Musikmarkt. 

Dienstag, 24. April 2012

Johann Ernst Bach: Passionsoratorium (Capriccio)

Darüber, was die Musikwirtschaft dem Publikum typischerweise serviert, kann man immer wieder staunen. Klingende Passionsbe- richte gehörten schon zu Schütz' Zeiten zum festen Repertoire der vorösterlichen Kirchenmusik. Jeder Komponist, der auf sich hielt, hat dazu Werke beigetragen. Über die Jahrhunderte sind so ganze Bibliotheken an Passionen entstanden. Allein Georg Philipp Telemann schuf gut 30 derartige Kompositionen. Selbst Ludwig van Beethoven schrieb Christus am Ölberg. Doch dann wurden die Passionen von Johann Sebastian Bach wiederentdeckt - und damit verschwanden alle anderen Werke dieser Gattung, sozusagen sang- und klanglos, aus den Kirchen. 
Selbst wenn in den vergangenen Jahren einige dieser verstummten Passionsmusiken auf CD eingespielt worden sind, so prägen Bachs Werke erstaunlicherweise nach wie vor das vorösterliche Konzert- programm. Das ist gleich aus mehreren Gründen schade. Denn zum einen ist längst nicht jede Kantorei in der Lage, eine Bach-Passion angemessen aufzuführen. Zum anderen fehlt dem Musikleben dadurch jene Tiefe, die das Verständnis der Werke eigentlich erst ermöglicht. 
Und dem Publikum entgehen Entdeckungen, wie sie der CD-Markt für Neugierige längst bereithält. Dazu gehört ohne Zweifel dieses Passionsoratorium von Johann Ernst Bach (1722 bis 1777), einem Neffen, Patensohn und Schüler des legendären Thomaskantors. Er wirkte als Organist in Eisenach, und wurde 1756 zum Hofkapell- meister von Herzog Ernst August Constantin ernannt. Die Weimar-Eisenachische Hofkapelle wurde allerdings schon zwei Jahre später nach dem Tod des Herzogs wieder aufgelöst. Die Lebensgeschichte dieses Komponisten, der ganz offensichtlich größten Wert auf die Kirchenmusik gelegt hat, bleibt uns weitgehend unbekannt. Sein Werk aber zeigt, dass er sein Handwerk exzellent beherrschte, und eine Fuge ebenso souverän einzusetzen wusste wie verwegene harmo- nische Wendungen und Melodien, die man nicht wieder aus dem Ohr bekommt. 
Hermann Max hat mit seiner Rheinischen Kantorei und dem Kleinen Konzert sowie einigen sehr ordentlich singenden Solisten 1989 für Capriccio nicht nur das Passionsoratorium, sondern auch Das Ver- trauen der Christen auf Gott, eine Ode auf den 77. Psalm für Tenor, Chor und Orchester, sowie Meine Seele erhebt den Herrn, eine Motette für Soli, vierstimmigen Chor, Streicher und Basso continuo, eingespielt. Die Noten wurden eigens für diese Aufnahme nach den Originalquellen erstellt. Für die nimmermüde Suche nach vergesse- nen Schätzen, die in Archiven und Bibliotheken schlummern, gebührt Hermann Max höchster Dank. Ohne das Engagement solcher Pioniere der "Alten" Musik wäre unser Wissen und unser Repertoire noch schmaler. 

Serenade (Genuin)

Was für ein Sound! Die Camerata Musica Limburg, ein quasi-profes- sionelles Ensemble, ist 1999 aus den Limburger Domsingknaben hervorgegangen und widmet sich dem Männer-Kammerchorgesang auf höchstem Niveau. Die 18 Her- ren, die unter Leitung von Jan Schumacher an dieser CD mitge- wirkt haben, singen blitzsauber und berückend homogen. 
Für Serenade haben sie Lieder ausgewählt, die überwiegend die Nacht musikalisch verklären - so, wie es die Romantiker liebten. Doch die Chorsänger beschränken sich nicht darauf, die bekannten Lieder vorzutragen, wie  sie jede Lieder- tafel kennt und singt. Sie haben zwischen den altbekannten und heiß geliebten "Hits" allerlei Überraschungen versteckt. So rufen perfekt geblasene Hörner das Waldesrauschen in Erinnerung. Es sind einige schöne Soli zu hören und auch etliche Werke, die in Deutschland sonst eher nicht präsent sind. Eine wunderschöne, poetische CD. 

Perti: Messa a 12 (Dynamic)

"Fürst und Herzog aller Orchester", so priesen seine Zeitgenossen Giacomo Antonio Perti (1661 bis 1756). Seine musikalische Ausbil- dung erhielt er bei seinem Onkel Lorenzo Perti, bei Petronio Fran- ceschini und Giuseppe Corsi da Celano, der möglicherweise zu den Schülern von Giacomo Carissimi gehörte. 
Nach ersten Erfolgen als Kompo- nist von Oratorien und Opern wurde er 1690 Nachfolger seines Onkels als Kapellmeister der Kathedrale San Pietro und 1696 der Kollegialkirche San Petronio in Bologna. Außerdem leitete er etliche Jahre lang die berühmte Accademia Filarmonica, deren Mitglied er seit 1681 war. Sie feierte alljährlich mit einem prunkvollen, von Musik dominierten Gottes- dienst das Fest des Heiligen Antonius, ihres Schutzherrn.  1687 schuf Perti dafür die Messa a 12 für zwölf Solisten, drei Chöre, Streicher und Basso continuo. 
Sie wurde im Jahre 2006 erneut in San Petronio aufgeführt. Die über 120 Mitwirkenden wurden dafür auf dem Chor der Basilika platziert, wie dies zu Pertis Zeiten üblich war, was durch zeitgenössische Drucke belegt ist. Und weil eine solche Menge an Musikern, die Erfahrungen mit der Aufführung solcher Werke haben, nur selten zusammenkommt, wurden auch noch zwei weitere wichtige Stücke aufgezeichnet - Pertis doppelchörige Motette Plaudite mortales, die er 1678 als Siebzehnjähriger komponiert hat, und das ebenfalls dreichörige Laudate Dominum, das Giovanni Paolo Colonna 1672 ge- schaffen hat. Es gehört ebenso zu den raren Zeugnissen der mehr- chörigen Musizierpraxis aus Bologna. Dieses Programm wird ergänzt durch eine Sinfonia Avanti la Serenata von Perti. 
An dem Projekt wirkten mit die Erzbischöfliche Musikkapelle der Basilika San Petronio, das Vokalensemble Color Temporis und das Collegium Musicum Almae Matris aus Bologna unter der Leitung des Kapellmeisters der Basilika, Michele Vannelli. Und man muss dem Label Dynamic dafür danken, dass es diese zauberhafte Musik aufge- zeichnet hat. Das war mit Sicherheit kein einfaches Unterfangen; doch der Mitschnitt ist hervorragend gelungen, und verschafft einen aus- gezeichneten akustischen Eindruck. 
Das Konzert muss wirklich ein Ereignis gewesen sein. Denn Petris Musik ist - bei aller Vielstimmigkeit - stets glasklar durchhörbar. Sie zeugt, ebenso wie das Laudate Dominum von Colonna, von einem geradezu atemberaubend souveränen Umgang mit dem Kontrapunkt, und entfaltet, dem Anlass angemessen, eine sagenhafte Klangpracht. 

Montag, 16. April 2012

La Porta delle Muse (Accent)

Vivaldi war viele Jahre als Geigen- lehrer und maestro dei concerti am Ospedale della Pietà tätig. In Venedig gab es vier Waisenhäuser, aber dieses war berühmt für sein Orchester, das als eines der besten in Europa galt: "Quelle roideur d'exécution!", begeisterte sich ein Zeitgenosse, der die jungen Musi- kerinnen gehört hatte. "C'est là seulement qu'on entend ce pre- mier coup d'archet, si faussement vantè à l'Opera de Paris. (...) Ils ont ici une espèce de musique que nous ne connaissons point en France, et qui me parait plus propre que nulle autre pour le jardin de Bourbonne. Ce sont de grands concertos où il n'y a point de violino principale."
Einige dieser Konzerte ohne Solovioline präsentiert das Ensemble Harmonie Universelle auf der vorliegenden CD. Sie erhalten ihre Wirkung weniger durch ihre Virtuosität, als vielmehr durch die Präzision ihrer Ausführung - was bekanntermaßen eine Stärke des Mädchenorchesters gewesen sein soll, das Vivaldi leitete. So er- scheinen auch die Violinkonzerte und vor allem auch die Doppel- konzerte wie Gelegenheiten zum freundschaftlichen Um-die-Wette-Musizieren - Florian Deuter und Mónica Waisman demonstrieren, aus welchem Geist damals in Venedig Musik entstanden ist, die ganz Europa beeindruckt und begeistert hat. 

Montag, 9. April 2012

Concerto Köln - Italian Concertos (Capriccio)

Wer die wichtigsten Concertos von Antonio Vivaldi (1678 bis 1741), ergänzt um einige Werke seiner Zeitgenossen Francesco Durante (1684 bis 1755), Leonardo Leo (1694 bis 1744) und erstaun- licherweise auch ein Violinkonzert von Giovanni Battista Pergolesi (1710 bis 1736) kennenlernen will, der sollte zu dieser 2-CD-Box greifen. Hier kann man erfahren, was seinerzeit das Publikum verzückte. Und das Ensemble Concerto Köln macht es auch dem heutigen Zuhörer leicht, sich für diese Werke zu begeistern. 

Bach: Brandenburg Concertos; Schreier (Newton Classics)

Bach schrieb die Six Concerts / Avec plusiers instruments. / Dédiées / A Son Altesse Royalle / Monseigneur / Cretien Louis / Marggraf de Brandenbourg, als er noch in Köthen war. Der Adressat der Widmung, Markgraf Christian Ludwig von Brandenburg, war zwar ein Musikfreund, doch das winzige Ensemble, das in seiner Berliner Residenz aufspielte, hätte diese Konzerte niemals aufführen können. Möglicherweise wollte sich Bach aber für andere Aufga- ben in Berlin empfehlen - und da war der Onkel des Preußenkönigs bestimmt eine gute Reverenz. Und obwohl Bach auf ältere Werke zurückgriff, die er umformte und bearbeitete, führte er dabei doch französische und italienische Vorbilder geradezu exemplarisch zu- sammen. Das muss zu Bachs Zeiten kühn und neu gewesen sein. 
Das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach hat 1992 unter der Leitung von Peter Schreier die sechs Konzerte eingespielt. Es ist eine schöne Aufnahme, und man freut sich darüber, dass Newton Classics sie nun wieder zugänglich gemacht hat. Schreier nimmt die schnellen Sätze mitunter rasant. Die langsamen aber sind wunderschön aus- musiziert, insbesondere dort, wo tiefe Streicher beteiligt sind. Und die Solisten, die an der Aufnahme seinerzeit mitgewirkt haben, sind durchweg erstklassig. 

Samstag, 7. April 2012

Johann Friedrich Fasch: Passio Jesu Christi (Naxos)

Über den Lebensweg von Johann Friedrich Fasch (1688 bis 1758) wurde in diesem Blog bereits verschiedentlich berichtet. Nach einer ersten Anstellung als Orga- nist  und Direktor der Kirchen- musik in Greiz trat er 1721 als Hofkapellmeister in den Dienst des Grafen Wenzel Morzin in Prag. Doch schon sechs Monate später ging er nach Zerbst, um dort das Hofkapellmeister-Amt zu über- nehmen. Kurz darauf forderten in die Leipziger Stadtväter auf, sich um die Stelle des Thomaskantors zu  bewerben, die nach dem Tod Kuhnaus neu zu besetzen war. Fasch lehnte dankend ab, und blieb in Zerbst - bis ans Ende seiner Tage. 
Die Passio Jesu Christi, auf dieser CD erstmals veröffentlicht, soll Fasch bereits in Greiz komponiert haben. Mich vom Stricke meiner Sünden beruht auf dem berühmten Libretto Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus von Barthold Heinrich Brockes. Fasch hat es für seine Zwecke stark gekürzt und bearbeitet. Eine Abschrift seines Werkes befindet sich in der Stadtbibliothek Leipzig. Sie wurde durch Mary Térey-Smith ediert und diente als Grundlage für diese Aufnahme mit der Schola Cantorum Budapestiensis und dem Barockorchester Capella Savaria. 
Faschs Passio beeindruckt durchaus, auch wenn sie nicht das Format von Bachs Passionen erreicht. Brockes konzentrierte die Handlung auf den Evangelisten, Jesus und die Tochter Zions, wobei der Tenor nicht nur den eigentlichen Evangelienbericht, sondern auch etliche Arien singt. Ebenso wie die der Sopranistin reflektieren und kommen- tieren sie das Geschehen. Die Solopartien singen sehr achtbar Zoltán Megyesi, Tenor, Péter Cser, Bass und Mária Zádori, Sopran. Man wür- de sich wünschen, dass das schöne wiederentdeckte Werk zukünftig in der Osterzeit Eingang in das Repertoire der Kantoreien findet, zumal die Chöre auch durch Nicht-Profis gut zu bewältigen sind. Auf der CD wird der Passio eine Ouverture in d-Moll vorangestellt; vermutet wird, dass dieses hübsche Werk im Auftrag des Dresdner Hofes ent- standen ist. 

Louis Lortie plays Liszt - The complete Années de Pèlerinage (Chandos)

Mit Liszts monumentalem Zyklus Années de Pèlerinage beschäftigt sich der frankokanadische Pianist Louis Lortie seit Jahren. So hat er bereits zu Beginn der 90er Jahre den zweiten Teil, Deuxième Année: Italie für Chandos eingespielt. Zum Liszt-Jubiläum hat er das gesamte Werk mehrfach in Konzerten ge- spielt. 
Hier ist nun die vollständige Ver- sion auf CD - und sie überrascht, weil Lortie, anders als viele seiner Kollegen, den Zyklus als ein in erster Linie poetisches Werk interpretiert. So verzichtet der Pianist auf die allzu massive, vordergründige Demonstration technischer Brillanz und Virtuosität. Er hat für die Aufnahme zudem nicht den branchenüblichen Steinway verwendet, sondern einen Flügel von Faziolo. Der klingt etwas weicher und samtiger, was Lortie für seine Interpretation offenbar näher war. 
Lorties Liszt ist bezaubernd, innig und mitunter geheimnisvoll. Lortie zeigt ihn uns, wie er ergriffen vor der großartigen Natur der Schweiz staunt - und von der Kultur Italiens ebenso beeindruckt und beein- flusst wird wie von der katholischen Kirche, der er sich schließlich und endlich zuwenden wird. 

Freitag, 6. April 2012

Thomanerchor Leipzig - 800 Jahre (Crystal Classics)

Vor 800 Jahren wurde in Leipzig durch Markgraf Dietrich von Meißen ein Kloster gestiftet - das Augustinerkloster St. Thomas, und zugleich damit gründete er die Thomasschule und der Thomaner- chor. Denn die Knaben, die an der Klosterschule ausgebildet wurden, wohnten im Stift - und sangen in den Gottesdiensten. 
Im Zuge der Reformation wurde das Kloster aufgelöst. Die Verant- wortung für Schule, Alumnat und Chor ging an die Stadt, und wenn der Thomanerchor in diesem Jahr sein großes Jubiläum feiert, dann feiert sich damit auch die Stadt Leipzig ein bisschen selbst. Den Stadtvätern sei dies vergönnt, denn der berühmte Chor hat im Laufe der Jahrhunderte viele große Musiker an die Pleiße gelockt, und zugleich viele von ihnen ausgebildet. 
Aus Archivbeständen hat Crystal Classics zum Jubiläum Werke von Thomaskantoren zusammengetragen, die der Chor seinerzeit unter Thomaskantor Hans-Joachim Rotzsch gemeinsam mit dem Neuen Bachischen Collegium Musicum Leipzig eingespielt hat. Auf der ersten CD finden sich neben Werken von Johann Sebastian Bach auch die seiner Vorgänger Johann Hermann Schein (1586 bis 1630), Tobias Michael (1592 bis 1657) und Johann Schelle (1648 bis 1701) sowie seiner Nachfolger Johann Adam Hiller (1728 bis 1804), Johann Gottfried Schicht (1753 bis 1823), Christian Theodor Weinlig (1780 bis 1842) und Gustav Schreck (1849 bis 1918). 
Auf der zweiten CD findet sich ein Repertoire, das auch bei den Thomanern zum Chorleben gehört - weltliche Chormusik und Volkslieder in handverlesenen Sätzen. Gerade hier fällt aber der schöne, homogene und ausgewogene Chorklang besonders auf, den Thomaskantor Rotzsch kultiviert hatte. Und so werden gerade Freunde des Knabenchor-Klanges sehr viel Freude an dieser Ergänzung haben.  

Bach for Japan (BIS)

"Bei der Zusammenstellung dieser CD waren wir mit unseren Gedanken bei all jenen Menschen in Japan, die zu den Opfern des Erdbebens und des Tsunamis vom 11. März 2011 gehören", schreibt Masaaki Suzuki, der künstlerische Leiter des Bach Collegiums Japan, im Beiheft zu dieser CD. Sie hat gleich zwei Ziele: Zum einen handelt es sich um eine Benefiz-CD, die erscheint, um Geld zu sammeln für das "Tohoku Help"-Netzwerk  der christlichen Kirchen des vom Erdbeben schwer getroffenen Gebietes. Dieses Projekt wurde wenige Tage nach dem Erdbeben gegründet, um die Opfer der Katastrophe unterstützen. 
"In den vergangenen 20 Jahren haben wir mit dem Bach Collegium Japan erlebt, wie die Musik  J. S. Bachs modernen Hörern Trost und Hoffnung bietet, ganz wie sie es auch im 18. Jahrhundert tat", erläu- tert Suzuki das zweite Ziel. "Angesichts der gegenwärtigen Situation haben wir uns dieser Erfahrungen erinnert und das vorliegende Album zusammengestellt - im Gedenken an die vielen Menschen, die ihr Leben verloren, und in der Hoffnung, dass die Musik denen Trost spenden möge, die schmerzliche Verluste erlitten haben, dass sie ihre Schmerzen lindere und ihnen die Kraft gebe, das Land für die nächste Generation wieder aufzubauen." 
Es ist ein ruhiges Programm, Musik der Trauer, der Besinnung und der Glaubensgewissheit, vorgetragen in jener exzellenten Qualität, die man mit dem Bach Collegium Japan, seinen hervorragenden Sängern und Musikern verbindet. Die CD beginnt mit Ich steh mit einem Fuß im Grabe BWV 156. Und sie schliesst mit Bachs Motette Komm Jesu, komm BWV 229. 
Diese Musik würde auch in Kirchgemeinden hierzulande und auf deutschen Friedhöfen Trauernde wunderbar trösten; es ist ein wohlüberlegtes, erstaunlich farbenreiches Programm, und ich denke, dass diese CD jeder Bestatter kennen sollte. Man kann sie ganz sicher auch an Trauernde verschenken, um Trost zu spenden - und auch wenn sich mit dem Thema in unserem Kulturkreis heutzutage wohl niemand mehr freiwillig auseinandersetzt: Leute, kauft diese CD. Sie ist wirklich phantastisch, und die Menschen in Japan können Hilfe noch immer brauchen. 

Donnerstag, 5. April 2012

Benda: Violin Sonatas (with original ornamentation) (Naxos)

Violinsonaten von Franz Benda (1709 bis 1786), Violinist am Hofe Friedrichs des Großen, hatten wir im März bereits in einer Aufnahme der Schola Cantorum Basiliensis vorgestellt. Bei Naxos sind nun weitere Werke in Weltersteinspie- lung erschienen, die sich in jenem legendären Manuskript in der Berliner Staatsbibliothek finden, welches sich dadurch auszeichnet, dass auch die Verzierungen notiert sind, die zu Bendas Lebzeiten jeder Musiker improvisierte. 
Sie wurden also üblicherweise nicht aufgeschrieben, und sind daher in Vergessenheit geraten. In späteren Jahrhunderten wiederum hätten sich Komponisten einen solchen Umgang mit ihrem Werk verbeten; die Partitur wurde zum Gesetz, und Interpreten hatten sie möglichst perfekt zu reproduzieren. 
Heute bemühen sich Musiker, die "alte" Musik in möglichst originalem Klang vorzustellen. Und dazu gehören, neben den "historischen" Instrumenten, auch die passenden Verzierungen - was nicht ganz einfach ist, denn Geschmack war schon zu Bendas Zeiten keine Konstante. Und was für Vivaldi passt, das muss bei nachfolgenden Generationen oder in anderen Regionen nicht unbedingt korrekt sein; dicke Bücher sind darüber schon zu Bachs Zeiten verfasst worden. Sie gelten heute als wichtige Quellen der musikhistorischen Forschung - und wer ein Manuskript wie das der Benda-Sonaten entdeckt, der darf das als Glücksgriff feiern. 
Hans-Joachim Berg, Barockvioline, und Naoko Akutagawa, Cembalo, beweisen mit dieser gelungenen Einspielung, was für ein Verlust es wäre, wenn man solche Quellen nicht hätte. Denn obwohl sie sehr schön ist, wird diese Musik erst durch die Variationen lebendig, mit denen sie Musiker ausgestaltet haben. 
Der exzellente junge Geiger spielt ein Instrument des Mittenwalder Geigenbauers Sebastian Klotz aus dem Jahre 1735, das unverändert erhalten geblieben ist. Die Cembalistin Naoko Akutagawa, die nach ihrem Studium in Japan noch eine Meisterklasse an der Musikhoch- schule in Würzburg absolviert hat, musiziert auf einem Instrument, das Henk van Schevikhoven 1992 in Helsinki nach einem Ruckers-Cembalo angefertigt hat.

W.A. Mozart: Klavierkonzert Nr. 22 F.X. Mozart: Klavierkonzert Nr. 2 (Berlin Classics)

Über Mozarts Klavierkonzerte heißt es, sie seien eigentlich Sinfo- nien mit obligatem Flügel. So ist der erste Satz des Konzertes für Klavier und Orchester Nr. 22 Es-Dur KV 482, das Sebastian Knauer hier mit dem Niederländischen Kammerorchester unter Philippe Entremont eingespielt hat, durch eine ausdrucksstarke Orchester- exposition geprägt, der sich dann später das Klavier hinzugesellt. 
Man erwartet einen Dialog zwischen dem Klavier und dem Orchester - doch der Solist macht daraus ein Bravourstück mit gelegentlichem Orchesterkommentar. Ich schätze Sebastian Knauer ja sehr, aber diese seine Mozart-Interpretation behagt mir gar nicht. Sie ist mir zu sehr virtuose Zirkusnummer, und zu wenig Musik. Es ist schade, dass der Dirigent, der ja selbst ein erfolgreicher Pianist ist, dieser Auf- fassung nicht entgegentritt, denn sie wird Mozart meiner Ansicht nach nicht gerecht. 
Dass Knauer durchaus in der Lage ist, im Einklang mit einem Orche- ster zu musizieren und sich dabei in den Gesamtklang einzufügen, beweist das zweite Werk auf dieser CD, das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 Es-Dur op. 25 von Mozarts Sohn Franz Xaver Wolf- gang Mozart (1791 bis 1844). Auch wenn es gemeinhin als ein schwaches Werk im Schatten eines großen Vorbildes gilt, so empfinde ich diesen Teil der CD als den besseren, weitaus stärkeren. Das Konzert des Mozarts-Sohnes hat in der Tat seine spröde Schönheit, die allerdings entdeckt werden will. Und das ist Knauer und dem Niederländischen Kammerorchester geradezu exemplarisch gelungen. Insofern sei diese CD dem Publikum empfohlen - denn Werke von Franz Xaver Mozart finden sich nur sehr selten im Repertoire. 

Bach: Messe in h-Moll BWV 232; Helmut Müller-Brühl (Naxos)

Wer eine blitzsaubere Interpre- tation von Bachs h-Moll-Messe sucht, die gänzlich uneitel daher- kommt, frisch musiziert, mit einem schönen Chorklang und einem wunderbar homogenen Solisten- ensemble, dem sei diese hier empfohlen. Helmut Müller-Brühl hat sie mit dem brillanten Dresd- ner Kammerchor und dem Kölner Kammerorchester im Jahre 2003 eingespielt. Als Solisten singen Sunhae Im, Sopran, Marianne Beate Kielland, Mezzosopran, Ann Hallenberg, Alt, Markus Schäfer, Tenor und Hanno Müller-Brach- mann, Bassbariton. 

Dienstag, 3. April 2012

Cello Jewels - Esther Nyffenegger, Cello (Divox)

Sieben CD enthält diese Box, und sie enthält Aufnahmen mit der Cellistin Esther Nyffenegger und dem Pianisten Gérard Wyss aus den 70er Jahren, sowie eine CD, die im Jahre 2000 aufgezeichnet wurde, und bei der Annette Weis- brod am Klavier zu hören ist. 
Versammelt ist nahezu die gesamte Cello-Literatur, die auf Haydn und Boccherini gefolgt ist. Ob man Beethovens Sonaten "romantisch" nennen sollte, das mögen Musik- historiker entscheiden. Sie werden hier jedenfalls durch seine drei Variationen-Werke komplettiert. Es folgen Brahms' Sonaten, sowie eine Cello-Sonate von Ernst von Dohnànyi und einige Fantasiestücke von Robert Fuchs - die beiden Komponisten gehörten zum Brahms-Freundeskreis. Enthalten sind weiter Schuberts Arpeggione-Sonate, die Cello-Sonaten von Felix Mendelssohn Bartholdy, die Fünf Stücke im Volkston von Robert Schumann, eine Cello-Sonate von Chopin, eine von Grieg und eine von Cèsar Franck, die eigentlich eine Violin- sonate war. Den Abschluss bilden Sonaten von Richard Strauss und Hans Pfitzner, beides Frühwerke, sowie Märchen und Presto von Leos Janácek. 
Die Interpretationen sind Geschmackssache. Ich muss gestehen, dass ich bereits vor dem Beethoven kapituliert habe. Er wird durch das Klavier dominiert; ein derartiges Pathos und einen solchen Mangel an Feingefühl und Humor muss man nicht mögen. 

Sonntag, 1. April 2012

Fux: Triopartiten (Querstand)

Die "Trio auf Instrumenten", so schrieb einst der Hamburger Musikkritiker Johann Mattheson (1681 bis 1764), haben "ihre besondere Meriten und erfordern einen festen Mann: wie darin der Kaiserl. Ober=Capellmeister Fuchs unvergleichlich ist."
55 Kompositionen für zwei Ober- stimmen und bezifferten Bass sind von Fux überliefert. Zwölf dieser Werke waren offenbar für die Aufführung außerhalb der Kirche bestimmt; sie wurden in der Fux-Gesamtausgabe als Triopartiten in einem Band zusammengefasst. Fünf dieser Werke sowie einen Einzel- satz aus einer weiteren Partita hat das Ensemble La Gioconda auf dieser CD vorgelegt.
Johann Joseph Fux (um 1660 bis 1741) war nach einer langen Perio- de, in der Kapellmeister aus Italien das Musikleben am Hofe der Habsburger prägten, der erste Österreicher, der in Wien Hofkapell- meister wurde. Mehr als ein Vierteljahrhundert lang leitete Fux die größte Hofkapelle Europas, der zeitweise über hundert Musiker angehörten. Er komponierte für den Hof, genoss aber auch großes Renommee als Musikpadägoge und Musiktheoretiker. Zu seinen Schülern gehörten unter anderem Gottlieb Muffat und Jan Dismas Zelenka. Fux' wichtigstes Werk Gradus ad Parnassum diente, ins Deutsche übersetzt, bis ins 20. Jahrhundert Generationen von Kompositionsschülern als Lehrbuch des Kontrapunktes. 
Seine Musik allerdings wurde vergessen - was sehr schade ist, wie diese CD beweist. Denn sie zeigt, wie souverän er französische und italienische Formen kombinierte. Seine Partiten sind abwechslungs- reiche und höchst charmante Folgen von Tanzsätzen. Die Abschriften dieser Werke deuten zudem offenbar darauf hin, dass ihre Besetzung flexibel gehandhabt wurde - bis hin zur chorischen Besetzung der Streicher, oder das gemeinsame Spiel mit Blasinstrumenten. 
Das Ensemble La Gioconda entschied sich für die solistische Variante. Lucia Froihofer und Mónika Tóth, Barockvioline, Barbara Julia Rei- ter, Barockcello und Anne Marie Dragosits am Cembalo bzw. Orgel- positiv präsentieren Fux' Triopartiten souverän und sehr elegant. Ein Hörgenuss, den ich gern weiterempfehle. 

Bach: Matthäus-Passion BWV 244 (Profil)

Diese Aufnahme ist eine Legende. Karl Richter (1926 bis 1981) war der Sohn eines evangelischen Pfarrers aus Plauen. Er sang bei den Kruzianern, und studierte nach dem Krieg am Leipziger Kon- servatorium und am Institut für Kirchenmusik bei Karl Straube und Günther Ramin. Schon dort galt er als erstklassiger Bach-Interpret. 1949 wurde er Thomasorganist; 1951 ging er als Kantor an die Münchner Markuskirche. Mit dem Münchner Bach-Chor und dem Münchner Bach-Orchester prägte er die Bach-Rezeption in der Zeit vor der "historischen" Aufführungspraxis. 
Natürlich würde man heute vieles anders machen. Und die Chöre, insbesondere der große Eingangschor Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen, stellen die Leidensfähigkeit des Zuhörers schon auf eine harte Probe. Doch wenn man sie ertragen hat, wird dies belohnt. Denn Richter hat, ausgehend von der spätromantischen Tradition, einige spannende Ideen, wie er Bachs Klangrede ausdeutet. Besonders auf- fällig wird dies, wenn die Jünger die Frau schelten, die das Glas mit köstlichem Wasser über Jesus ausgegossen hat. Hier zeigt er die Jünger als eine Gruppe übereifriger Spießer, ganz und gar unsympa- thisch - und das Orchester zetert herzhaft mit, ganz besonders die Flöten. Ihnen weist Richter immer wieder die Funktion des musikali- schen Kommentators zu; so klar und deutlich sind die Flöten in keiner anderen Einspielung von Bachs Matthäus-Passion zu hören. 
Richter konnte bei dieser Aufnahme aus dem Jahre 1959 nicht nur auf den Münchner Bach-Chor, die Münchner Chorknaben und das Münchner Bach-Orchester mit seinen hervorragenden Instrumenta- listen bauen; ihm stand auch ein exzellentes Solistenensemble zur Verfügung. Irmgard Seefried, Sopran, Hertha Töpper, Alt, Ernst Haeflinger als Evangelist und Arientenor in Personalunion, Kieth Engen, Bass/Jesus und der junge Dietrich  Fischer-Dieskau, Bass/Arien - diese Sänger beeindrucken noch heute durch ihre enorme künstlerische Strahlkraft und ihr Gespür für musikalische Zusammenhänge, unbeeindruckt von jeder Mode.