Dienstag, 12. Juli 2011

Bach: Goldberg Variations; Angelich (Virgin Classics)

Eigentlich wollte ich über diese Aufnahme von Bachs Goldberg-Variationen nichts schreiben. Denn sie beginnt als ein Ärgernis. Nicholas Angelich schert sich, so scheint es, nicht im Geringsten um alle Erkenntnisse der musikhisto- rischen Forschung. Seine Werkauf- fassung ist zutiefst romantisch. Und während der ersten Varia- tionen meint man, eine weitere Einspielung des berühmten Werkes vor sich zu haben, wie es schon viel zu viele gibt. 
Doch spätestens bei der Variatio 6 Canone all Unisuono a 1 clav. lauscht man gebannt. Denn diese CD erweist sich als atemberaubend gut durchdacht. Angelichs Interpretation setzt ganz auf Ruhe und Gelassenheit, auf Bachs Strukturen, und selbst dort, wo er ein zügiges Tempo wählt, wirken die Variationen nicht rasant, gehetzt und gequält, sondern spielerisch, tänzerisch. Alles entsteht aus Bachs Notentext heraus - Dynamik, Klangfarben, Nuancen, nichts erscheint aufgesetzt, willkürlich, als schmückendes Beiwerk. Jeder Ton, jedes Detail passt in den unerhörten Spannungsbogen, den Angelich hier aufbaut. Zugleich erfasst der Pianist Bachs Musik in einer Tiefe, die weit über alles hinausgeht, was der Markt üblicherweise bietet. Obwohl er einen modernen Konzertflügel spielt, hütet er sich davor, aufzuzeigen, was man mit diesem Instrument heute aus Bach machen könnte - im Gegenteil, er stellt den Bechstein ganz in den Dienst dieser Musik, und nutzt bewusst nur einen Teil der verfügbaren Klangmög- lichkeiten. So gelingt es ihm, Strukturen und Beziehungen hörbar zu machen, wie man das sonst nur bei wirklich guten Einspielungen an einem Cembalo erlebt. Angelich gestaltet seinen Bach nicht nur spannungsreich, sondern auch glasklar durchhörbar. Seine Inter- pretation mag romantisch sein - aber sie ist in sich jederzeit stimmig, und ungemein kurzweilig. 

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