Sonntag, 10. April 2011

Stellwagen-Orgel (1659) zu St. Marien Stralsund; Rost (MDG)

Wie köstlich! Eine Orgel-CD, die mit dem Signal des Calcantenglöck- chens beginnt, gefolgt vom Atem- geräusch der Balganlage - das ist geradezu nostalgisch. Und im Beiheft liest man dann, das den Orgelwind für dieses Orgelporträt tatsächlich "statt des Orgelmotors in authentischer Weise die durch Calcanten betätigten 12 Keilbälge" geliefert haben. Und auch sonst stellt man bald fest, dass hier durchweg sachkundige Hände am Werk waren. 
Martin Rost ist ohne Zweifel einer der profiliertesten Organisten und Orgelsachverständigen seiner Generation. Er setzt sich seit vielen Jahren für die Restaurierung historischer Orgeln ein, und hat bislang mehr als 80 derartige Projekte fachlich begleitet. Ihm verdanken wir zudem die Wiederentdeckung der verloren geglaubten Archivalien über den Bau der Stellwagen-Orgel der Marienkirche in Stralsund. Eine sorgfältige Bestandsaufnahme sowie vergleichende Unter- suchungen an weiteren Orgeln ermöglichte die Restaurierung dieses kostbaren Instrumentes in den Jahren 2003 bis 2008 - mit dem Ziel der Wiederherstellung des Orgelwerkes in dem Zustand, in dem der Orgelbauer es einst an die Kirchgemeinde übergeben hatte.
Der Lübecker Friedrich Stellwagen (1603 bis 1660) hat in der Stral- sunder Marienkirche sein größtes und wohl auch schönstes Instru- ment errichtet. Wenige Monate vor seinem Tod, im Oktober 1659, vollendet, war es mit 51 klingenden Registern, verteilt auf Hauptwerk, Oberpositiv, Rückpositiv und Pedal Höhepunkt und Abschluss seines Lebenswerkes. Durch Kriegsgeschehen, nicht immer sachgemäße Umbauten und mangelhafte Instandhaltung erlitt die Stellwagen-Orgel im Laufe der Jahrhunderte etliche Blessuren. 1943 wurde sie aus der Kirche entfernt, und in einem Gutshaus eingelagert. Während St. Marien den Krieg ohne Schäden überstand, lässt sich das von der Orgel nicht gerade sagen. Dennoch erreichte der damalige Organist Dr. Dietrich W. Prost in den 50er Jahren die Wiederherstellung des Instrumentes. 
Die Stellwagen-Orgel ist letztendlich die einzige große Barockorgel, die in einer der norddeutschen Backstein-Basiliken erhalten geblieben ist. In Werkaufbau und Klangkonzept gleicht sie ihren berühmten Schwestern in der Lübecker Marienkirche und der Hamburger Katharinenkirche, die heute beide nicht mehr existieren. Martin Rost hat für sein Orgelporträt neben Werken Dietrich Buxtehudes, der als Inbegriff norddeutscher Orgelkunst gilt, auch die seiner Vorgänger Peter Hasse, Franz Tunder, sowie seiner Schüler Nicolaus Bruhns, Johann Sebastian Bach und Christian Schiefferdecker ausgewählt. Daran demonstriert er einerseits die Klangvarianten und Möglich- keiten der Stellwagen-Orgel; andererseits aber auch die Entwicklung der Orgelmusik innerhalb von gut hundert Jahren. Eine rundum gelungene CD, die einen beeindruckenden Klangeindruck vermittelt. 

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