Dienstag, 16. November 2010

Hasse: Sanctus Petrus et Sancta Maria Magdalena (Oehms Classics)

Diese CD, von Oehms Classics kürzlich vorgelegt, gehört eigent- lich in die Tage vor dem Osterfest. Johann Adolf Hasse (1699 bis 1783), Dresdner Hofkapellmeister zur Zeit Augusts des Starken, ver- tonte in seinem Oratorium einen fiktiven Dialog, der die Gefühle von Petrus, Maria Magdalena, Maria, der Mutter des Jüngers Jakobus, Maria Salome, Mutter der Jünger Johannes und Jakobus, und Joseph von Arimatäa angesichts des Kreuzestodes Jesu offenbart. 
Gesungen wurden seinerzeit alle Partien von Frauenstimmen, beglei- tet von Streichern und Continuo. Denn dieses Werk ist für das Ospe- dale degl'Incurabili in Venedig entstanden, an dem Hasse nachweis- lich einige Jahre lang als maestro di cappella tätig war. In der Lagu- nenstadt gab es vier derartige Einrichtungen, die zu Hasses Zeiten bereits Internate waren, an denen Mädchen vor allem auch musika- lisch ausgebildet wurden. Ihre Darbietungen waren weithin berühmt. So berichtete Johann Wolfgang von Goethe 1786 über ein Konzert in der Kirche der Mendicanti: "Die Frauenzimmer führten ein Oratorium hinter dem Gitter auf, die Kirche war voll Zuhörer, die Musik sehr schön, und herrliche Stimmen."
Auch Hasse hat derartige Werke komponiert. Da in der Passionszeit keine Opern aufgeführt werden durften, hörten die Venezianer statt dessen Oratorien. Oftmals verknüpften sie einen Psalm wie das Miserere mit einer vorangestellten Handlung - Hasses Werk ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür. Und die Solistinnen müssen ziemlich gut gesungen haben, denn die Partien, die er für seine Schützlinge schrieb, sind keineswegs einfach. 
Die Struktur des Oratoriums erscheint unkonventionell; Hasse löst sich aus der Abfolge von Rezitativ und Arie, und sucht nach anderen Formen, die die Textaussage besser transportieren. So beginnt das Oratorium mit einer raffinierten Sinfonia, die in ein kunstvoll ausge- arbeitetes Accompagnato-Rezitativ übergeht, in der Petrus um Jesus weint und sein eigenes Versagen beklagt. Ein großes Terzett steht im Mittelpunkt des Werkes. Es vereint die Klage der drei Marien - wobei sie eigentlich nur wenig gemeinsam singen; solistische Abschnitte und Ritornelle haben weitaus größeren Raum. Ein umfangreiches Duett singen zudem Maria Magdalena und Petrus. Es ist ein Stück der Trauer und der Klage, das zum Miserere hinführt. Doch zuvor tritt Joseph von Arimatäa ein und erinnert die Trauernden daran, dass Jesus begraben werden muss. Seine virtuose Arie verweist zudem auf den Opfertod Jesu als Voraussetzung für das ewige Leben. 
Doch die Frauen zögern noch, zum Kreuz zurückzukehren - zumal Petrus nicht mit ihnen gehen kann. Er bittet sie schließlich, Psalm 51 mit ihm zu sprechen - was das Stichwort für den Chor ist. Im Miserere konzentriert Hasse abschließend die ganze Pracht der venezianischen Kirchenmusiktradition - und führt sie weiter; manche Abschnitte erinnern bereits an Mozart. 
Die vorliegende Aufnahme entstand im November 2008 im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Zu hören sind Chor und Orchester dieses Musikfestivals unter Michael Hofstetter. Für die Besetzung der Solopartien wurde eine ebenso salomonische wie klangvolle Lösung gefunden: Die drei Marien werden von Kirsten Blaise und Heidrun Kordes, Sopran, sowie Vivica Genaux - mit einem wundervollen dunkel timbrierten Mezzosopran - gesungen. Petrus singt der junge Schweizer Countertenor Terry Wey, den Joseph Jacek Laszczkowski, ein polnischer Sänger, der sowohl als lyrischer Tenor als auch als Sopran auftreten kann. Diese Stimmen harmonieren sehr gut miteinander, und so erweist sich diese Einspielung als Dokument eines musikalischen Ereignisses, das nicht nur Hasse-Fans begeistern wird. Bravi!

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