Dienstag, 24. August 2010

Davidoff: Cello Concertos 3 & 4 (cpo)

Es gibt doch noch wirkliche Über- raschungen für Klassikfreunde. Diese CD bringt gleich mehrere davon: Davidoff? Nein, mit Zigar- ren hat diese Aufnahme nichts zu tun. Der gebürtige Kurländer Carl Juljewitsch Davidoff  (1838 bis 1889), Sohn eines Arztes und Amateurgeigers, hat Mathematik studiert - und nebenher eifrig Cello geübt; seine Lehrer waren Heinrich Schmitt und Carl Schuberth. 
Nach dem Examen 1858 erlaubte ihm der Vater, nach Leipzig zu gehen, um dort an dem berühmten Konservatorium seine musikali- sche Ausbildung fortzusetzen. Das Cello allerdings, so ist überliefert, ließ Davidoff zu Hause - dem jungen Mann ging es wohl eher um die Musiktheorie. Doch dann wollte ein Kommilitone dem Professor ein Klaviertrio vorstellen, das er geschrieben hatte. 
Ein Geiger fand sich; der Komponist selbst setzte sich ans Klavier, und Davidoff meinte, er könne "ein wenig" auf dem Violoncello spielen. Man gab ihm ein Leihinstrument - und kurz darauf wurde ihm eine Stelle im Gewandhausorchester angeboten. Bereits am 15. Dezember 1859 stellte Davidoff als Solist in Leipzig sein Cellokonzert op. 5 vor; im Jahr darauf übernahm er die Cello-Klasse von Friedrich Grütz- macher am Leipziger Konservatorium. 
1862 kehrte er nach Russland zurück. Dort war er von 1862 bis 1882 als Solocellist an der Kaiserlichen Oper und als Professor an dem soeben von Anton Rubinstein gegründeten Konservatorium in Sankt Petersburg tätig. Von 1876 bis im Jahre 1887 war er sogar dessen Direktor, musste den Posten jedoch räumen, weil er eine Affäre mit einer schönen Klavierschülerin hatte - was aufflog und einen unge- heuren Skandal verursachte. All das erfährt der Leser aus dem Beiheft zu dieser CD, mit einem kenntnisreichen und sehr lesenswerten Aufsatz von Eckhardt van den Hoogen - Überraschung Nummer zwei. Davidoff  komponierte Cellokonzerte, vier an der Zahl, sowie Lieder, Balladen und Kammermusik. Außerdem schrieb er eine Violoncello-Schule.
Tschaikowski, sein Mitbewerber um die Direktorenstelle, pries ihn als den Zaren unter den Cellisten und widmete ihm sein Capriccio Italien. Das ist auf dieser CD nicht aufgezeichnet - dafür aber, Über- raschung Nummer drei, das Nocturne op. 19 Nr. 4, das Pezzo Capriccioso op. 62 und das Andante cantabile aus dem ersten Streichquartett D-Dur op.11.
Die eigentliche Überraschung aber ist der Solist, den ich hier zum ersten Male gehört habe - und der vom ersten bis zum letzten Takt begeistert: Wen-Sinn Yang, viele Jahre lang Solocellist im Sympho- nieorchester des Bayerischen Rundfunks, seit 2005 Professor an der Musikhochschule München, spielt Davidoffs Konzerte mit einer Leichtigkeit, die ich hinreißend finde. Er stellt die eleganten Werke derart souverän vor, dass man sich fragt, warum diese attraktiven, melodiösen und zugleich kraftvollen Konzerte nicht längst zum Repertoire eines jeden Cellisten gehören. Grandios! Er spielt so klangschön, so überlegt und zugleich so virtuos, dass man atemlos lauscht. Was für ein Erlebnis! 
Auch das Shanghai Symphony Orchestra unter Terje Mikkelsen, das ihn hier begleitet, ist zunächst eine Überraschung. Bei den Davidoff-Konzerten jedenfalls. Die Tschaikowski-Stücke hingegen versinken im orchestralen Mulm; am Arrangement allein kann das nicht liegen. Dazu kommen einige schiefe Töne, insbesondere seitens der Blech- bläser - schade. Ein Weltklasse-Orchester klingt anders.

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