Freitag, 16. Juli 2010

Schumann: Sämtliche Werke für Pedalflügel / Orgel (Audite)

Immer wieder hat sich Robert Schumann mit dem Werk Bachs auseinandergesetzt. 1844 war der Komponist psychisch wie physisch am Ende. Er gab die Redaktion der von ihm gegründeten Neuen Zeit- schrift für Musik auf, und zog von Leipzig nach Dresden um.
Dort widmete er sich intensiv kontrapunktischen Studien - ein- mal mehr wurde Bach Mittelpunkt seines Denkens und Schaffens, und so fand Schumann 1845 allmählich wieder aus seiner Krise heraus. "Am 24. April erhielten wir ein Pedal unter den Flügel zur Miete, was uns viel Vergnügen schaffte", notierte Clara Schumann im Tagebuch. "Der Zweck war hauptsächlich, für das Orgelspiel zu üben. Robert fand aber bald ein höheres Interesse für dies Instrument und kompo- nierte einige Skizzen und Studien für den Pedalflügel, die gewiss großen Anklang als etwas ganz Neues finden werden." 
Schumann schrieb, als Studien für den Pedalflügel op. 56 Sechs Stücke in kanonischer Form, zudem Skizzen für den Pedalflügel
op. 58 sowie Sechs Fugen über den Namen BACH für Orgel oder Pianoforte mit Pedal op. 60. Der Pedalflügel aber ist mittlerweile aus der Musikpraxis verschwunden; die "ganz wundervolle(n) Effecte", die Schumann sich von diesem Kuriosum erhoffte, bringen denjeni- gen in Verlegenheit, der die Werke Schumanns für den instrumenta- len Zwitter heute aufführen möchte. Einzig die Sechs Fugen sind originäre Orgelwerke; "es ist dies eine Arbeit, an der ich das ganze vorige Jahr gearbeitet, um es in etwa des hohen Namens, den es trägt, würdig zu machen, eine Arbeit, von der ich glaube, daß sie meine anderen vielleicht am längsten überleben wird", schrieb er an seine Verleger. Auch hier irrte Schumann - obwohl er eine wahre Flut von ähnlichen musikalischen Huldigungen auslöste.
Die Studien handhaben die strenge Kanonform in erstaunlich freier und phantasievoller Weise. Erscheint das erste dieser Stücke noch beinahe, als hätte Bach selbst es komponiert, so werden die anderen zunehmend romantische Charakterstücke. Die Technik, so klagen Organisten, sei weitgehend pianistisch. Am Klavier aber, "zu 3 oder 4 Händen", wie von Schumann vorgeschlagen, lassen sich diese Werke auch nicht befriedigend spielen. Bizet bearbeitete sie daher für Klavier zu vier Händen, Debussy schuf eine Fassung für zwei Klaviere zu vier Händen. Clara Schumann selbst schrieb eine Klavierfassung für einige der Studien, die aber extrem weitgriffig geraten ist - was nicht alle Pianisten erfreut. Auch für einige der Skizzen gibt es  Bear- beitungen für Klavier zu zwei Händen von Clara Wieck. Hierbei geht es noch weniger um den Kontrapunkt, sondern eher um klangliche, quasi-orchestrale Effekte.
Spielt man sie auf der Orgel, so erinnern etliche dieser Werke stark an die französische Orgelmusik in der zweiten Hälfte und gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Diese Assoziation wird nicht nur vom Organisten Andreas Rothkopf, sondern auch vom Instrument unterstützt, das er für diese Aufnahme auswählte: Die historische Orgel im badischen Hoffenheim wurde 1846 von Eberhard Friedrich Walcker errichtet. Rothkopf nutzt die klanglichen Möglichkeiten, die ihm dieses zeit- genössische und offenbar später glücklicherweise wenig modifizierte Instrument bietet, um Schumanns musikalische Ideen nachzuspüren - mit einer interessanten Registrierung, und stets nah am Notentext. So ist ihm eine CD gelungen, die rundum überzeugt. Bravo!

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