Dienstag, 13. Juli 2010

Dietrich Fischer-Dieskau. Ein Portrait (EMI Classics)

"1948, als in Deutschland alles in Trümmern lag, kam da plötzlich ein pausbäckiges Riesenbaby und sang Schubert - mit einer Schön- heit, dass alle wie zum Beten hin- pilgerten", erinnert sich Christa Ludwig an die ersten Auftritte von Dietrich Fischer-Dieskau.
Der junge Bariton war damals gerade aus der Kriegsgefangen- schaft heimgekehrt und setzte sein Studium bei Hermann Weißenborn fort. Im Januar 1948 sang er für den Rias Schuberts Winterreise - und startete damit eine Sängerkarriere, die er erst 1992, bei einer Silvestergala, mit der Schlussfuge aus Verdis Oper Falstaff beendete.
Diese beiden Eckpunkte seiner Gesangskarriere dokumentiert die vorliegende Auswahl aus der umfangreichen Diskographie des Sängers nicht - dafür aber zahlreiche andere Höhepunkte. Das Repertoire des Sängers war enorm, und ist auf über 400 Schallplatten dokumentiert. Deshalb lag also die Herausforderung in der Auswahl. EMI Classics hatte dafür, wie ich meine, ein glückliches Händchen und hat etliche Juwelen in den Archiven aufgespürt. 
Dieses musikalische Porträt zeigt Fischer-Dieskau als Lied- und Opernsänger - und vergisst auch nicht, dass er Bachs Werke sehr geschätzt und gern gesungen hat. In den 60er Jahren entstanden die Aufnahmen von Schuberts Liedzyklen Die schöne Müllerin, Winter- reise und Schwanengesang, ergänzt noch durch einige weitere Lieder. Begleitet wird der junge Sänger hier von Gerald Moore, einem überragenden und erfahrenen Pianisten, bei einem Lied auch von Karl Engel. 
Das beredte Klavierspiel von Gerald Moore geleitet den Sänger auch durch Schumanns Eichendorff-Lieder; eine ganze CD ist dem Komponisten gewidmet. Bei etwa der Hälfte der Lieder ist Hertha Klust am Klavier zu hören. Besonders erfreulich: Je eine CD enthält Lieder von Hugo Wolf und Richard Strauss. Auch hier akkompagniert Moore. 
Die siebte CD gilt dann dem Werk Gustav Mahlers. Die Lieder eines fahrenden Gesellen, aufgezeichnet 1952 mit dem Philharmonia Orchestra unter Wilhelm Furtwängler, und die Kindertotenlieder, eingespielt 1955 mit den Berliner Philharmonikern unter Rudolf Kempe, machen deutlich, wie ausgeprägt das Gestaltungsvermögen des jungen Sängers damals schon war, wie klar seine musikalische Handschrift, und wie exzellent seine Technik. Die Fünf Gesänge aus "Des Knaben Wunderhorn" sowie die Rückertlieder begleitet Daniel Barenboim am Klavier. 
Den Opernsänger Dietrich Fischer-Dieskau zeigt uns die achte CD - mit Arien aus einigen seiner Lieblingspartien, wie Graf Almaviva aus Mozarts Hochzeit des Figaro, Falstaff aus Verdis gleichnamiger Oper, oder Wolfram aus Wagners Tannhäuser
"Es gibt keine zugleich anspruchsvollere, technisch forderndere und stimmlich lohnendere Aufgabe für Sänger als Bachs Musik", resümierte der Sänger dennoch, und meinte: "Der konzertierende instrumentennahe Bach erfordert Geläufigkeit und Spannkraft, der Bach der großen Linie erlaubt belcantistischen Schmelz, der erzählend-dozierende Bach muss mit gebührendem Abstand, aber doch nicht unbeteiligt gesungen werden." Arien aus Bach-Kantaten bringen die CD 9 und 10. Hier sind auch die Berliner Philharmoniker unter Karl Forster zu hören - sowie Irmgard Poppen am Violoncello, Fischer-Dieskaus erste Ehefrau. 
Leider fehlt Brahms in dieser Kollektion; statt dessen gibt's auf der zehnten und letzten CD noch etwas "leichte" Muse, unter anderem Strauss Fledermaus und Der Zigeunerbaron, Otto Nicolais Die lustigen Weiber von Windsor und zwei Raritäten aus der Feder von Felix Mendelssohn Bartholdy. 
Egal, was Fischer-Dieskau singt - er tut es stets wohlüberlegt, mit großer Sorgfalt in Phrasierung und Intonation, und auch der Text ist stets zu verstehen. Sein Timbre ist charakteristisch, seine Stimme klingt klar und hell, und sein Gesang wirkt immer unangestrengt. Auch wenn manche Kritiker anderes sagen - Dietrich Fischer-Dieskau ist ein Phänomen, ein Jahrhundertsänger. Und diese CD-Sammlung bietet zusammengefasst einige seiner besten Aufnahmen.

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