Montag, 14. Juni 2010

Sehnsuchtswalzer - Herbert Schuch (Oehms Classics)

Erst Schumann, dann Czerny, dann Schubert, abschließend Weber - was für eine Kombination! Im Beiheft begründet Herbert Schuch diese Zusammenstellung, und was er dazu sagt, erscheint sehr schlüssig: "Es ist erstaunlich, wie Weber hier den Typus des Chopin- schen Konzertwalzers vorweg- nimmt. Dieses Werk ist für mich ein Wunder! Zugleich gibt es Walzer von Schubert, in denen ich bereits Schumann zu hören meine. Mich hat also auch interessiert, woher Schumann und seine Idee des Tanzes kommen. In diesem Sinne ist die zweite CD als eine Art Anhang zu sehen."
1833 komponierte Schumann Variationen über einen Walzer Franz Schuberts, der als Trauer- oder auch als Sehnsuchtswalzer bekannt wurde. Der junge Komponist schwärmte für Schuberts Musik - was vielleicht auch mit an den jungen Damen gelegen haben könnte, die ihn auf die Werke des Wieners aufmerksam gemacht hatten. 
"Edelsteine ziehen Geistesfunken aus, sagt man; es haben sich unter ihm viel musikalische Namen begeben, die ich ‚Scenen’ nennen will", schrieb Schumann an Henriette Voigt. "Eigentlich sind’s Liebeslilien, die der Sehnsuchtswalzer zusammenhält. Die Zueignung verdient und schätzt nur eine Asdurseele, mithin eine, die Ihnen gliche, mithin Sie allein, meine theure Freundinn." 
Allein der Zyklus blieb unvollendet - Schumann gründete seine Neue Zeitschrift für Musik, verlobte sich mit  Ernestine von Fricken, und komponierte Carnaval op.9, dessen Scenen nicht ohne Grund im Marche des Davidsbündler contre les Philistins kulminieren. Wie ein Echo aus der Vergangenheit eröffnet die Einleitung des abgebroche- nen Versuches in Sachen Sehnsuchtswalzer nun diese Charakter- studien. 
Schuch spielt das Sehnsuchtswalzer-Fragment nach einer Edition von Andreas Boyde. "Ich habe mir erlaubt, die eine oder andere Wieder- holung einzufügen, weil ich den Eindruck hatte, dass diese Stücke (...) sonst allzu kurz geraten", meint der Pianist. Und zwischen die Variationen und Carnaval schiebt er die Papillons op.2 und die Intermezzi op.4, die im gleichen Zeitraum und aus demselben musi- kalischen Ideenfundus entstanden sind, wie Schumanns Skizzen- bücher belegen. 
Auf den Carnaval folgt dann Carl Czerny. Seine Variationen über den beliebten Wiener Trauer-Walzer von Franz Schubert op. 12 sind ein typisches Virtuosenstück. Schuch spielt es leicht und mit viel Charme, sehr differenziert und nicht nur auf Effekt bedacht. Dennoch bleibt der Kontrast zum Romantiker Schumann frappierend. "Hätte ich Feinde, nichts als solche Musik gäbe ich ihnen zu hören, sie zu vernichten", ätzte Schumann einst gegen den gefeierten Pianisten, Komponisten und Musikpädagogen. Beim Publikum freilich kam Czerny ausgezeichnet an; als er 1857 starb, war er ein reicher Mann. 
Schuch setzt in seiner Interpretation durchaus eigene Akzente, die man jedoch gut nachvollziehen kann. Er spielt sehr überlegt, tech- nisch brillant, mit Geist und Witz und mit einem beeindruckenden Sinn für Klangfarben. Diese Doppel-CD gehört für mich daher zu den wenigen herausragenden Inseln aus dem großen Meer der Schumann-Veröffentlichungen im Jubiläumsjahr.

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