Dienstag, 8. Dezember 2009

Handel: Alcina (Deutsche Grammophon)


Am 15. Mai 1959 wollte der WDR aus Köln live Händels Oper "Alcina" übertragen. Doch als die Proben begannen, bemerkten die Verantwortlichen, dass da mehr als ein Problem einer Lösung harrte. Denn Nicola Monti, der Startenor aus Mailand, hatte versehentlich die falsche Partie einstudiert - statt den Ruggiero, Liebhaber der Zauberin und Verlobter der Bradamante, hatte er den Oronte, Feldherr Alcinas, erarbeitet. Und die Sopranistin, die eigentlich die Titelrolle singen sollte, war ein Totalausfall.
Eine Umbesetzung war zwingend erforderlich, und sie erwies sich als Glücksgriff. Denn es sprangen zwei Sänger kurzfristig ein, die leider nie wieder gemeinsam auf einer Bühne standen: Joan Sutherland hatte die Alcina bereits gesungen, allerdings in englischer Sprache, so dass sie "nur noch" den italienischen Text lernen musste. Wie es aber Fritz Wunderlich gelungen ist, sich innerhalb von wenigen Tagen eine derart umfangreiche, anspruchsvolle Partie rundum überzeugend anzueignen, das verblüffte selbst Kritiker und Kollegen.
Komplettiert wurde das Ensemble seinerzeit durch Norma Procter als Bradamante, Jeanette van Dijck als Alcinas Schwester Morgana und Thomas Hemsley als Melisso, Lehrer der Bradamante, sowie den Kölner Rundfunkchor und die Cappella Coloniensis unter Ferdinand Leitner. Sie gehörte zu den Pionieren der historischen Aufführungs-praxis; die Cappella war das weltweit erste Orchester, das auf Originalinstrumenten musizierte und sich um eine stilistisch korrekte Interpretation bemühte.
Wie klingt nun dieses Dokument, das die Deutsche Grammophon im Archiv des Rundfunksenders ausgegraben hat? Erstaunlich modern, frisch und schwungvoll. Die Sänger sind durchweg exzellent, und die Live-Stimmung, die diese Aufnahme prägt, fasziniert bis heute. Denn statt des befürchteten Desasters ereignete sich letztendlich eine jener raren Sternstunden, die das Publikum zu Beifallsstürmen hinreißen - und uns auch heute noch begeistern können, dem Mitschnitt sei Dank. Ein großer Wurf! Auf weitere Entdeckungen darf man gespannt sein.

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