Donnerstag, 31. Dezember 2009

Gluck: Orfeo ed Euridice (Berlin Classics)


Eine Aufnahme aus dem Jahre 1966, die aber überraschend frisch und lebendig daher kommt. 
Das liegt zum einen ganz sicher am Dirigenten Václav Neumann, der, geprägt durch die enge Zusammen-arbeit mit Walter Felsenstein, sehr genau auf die Partitur schaut, und keine Manierismen duldet. Er leitete ein Ensemble von Weltrang: Es spielt das Gewandhausorchester Leipzig, und die Chöre singt der Rundfunkchor Leipzig. Sie werden von Neumann sehr schlank und durchhörbar geführt. 
Das liegt zu anderen aber auch an den brillanten Sängerinnen. Die Altistin Grace Bumbry singt einen ergreifenden Orfeo, Anneliese Rothenberger eine von Trauer und Leid zerissene Euridice, und Ruth-Margret Pütz dem Amor. Keine Originalinstrumente, keine historische Aufführungspraxis, keine Barockstimmen - aber dennoch eine stimmige, stimmungsvolle Aufnahme, die man noch heute gut anhören kann.

Strauss: Walzer, Polkas - Edition Ferenc Fricsay Vol. XII (Audite)


Raritäten aus fernen Mono-Tagen, solide remastert und so hinübergerettet in unsere Hightech-Zeit. Diese Aufnahmen von Strauss' Walzern und Polkas entstanden im Juni 1950 sowie im Oktober 1952. Wer eine Hochglanz-Aufnahme im Stile der Neujahrskonzerte erwartet, der wird enttäuscht werden.
Dennoch beeindruckt diese CD durch die Vitalität und Geradlinigkeit des Musizierens. Daran ändert auch der eine oder andere schiefe Ton nichts, der trotz aller Schnitte verblieben ist. Mitunter meint man, nicht das Rias-Symphonie-Orchester zu hören, sondern eine Militärkapelle, wie sie der jugendliche Fricsay einst in Szeged geleitet hat. Köstlich sind beispielsweise der "Kaiser-Walzer" mit seiner langsamen Einleitung, das temperamentvolle "Künstler-Leben" oder das "Perpetuum mobile", ein musikalischer Scherz, der insbesondere die Bläser vor einige Herausforderungen stellt. Vermisst man gelegentlich eine gewisse Leichtigkeit und Beweglichkeit, so wird man hingegen erstaunt Spuren jener Melancholie wahrnehmen, die ungarische Musiker wohl auszeichnet. Und spätestens die daunenleichte, witzige "Pizzicato-Polka" entschädigt für den eher schwachen Beginn.

Sonntag, 27. Dezember 2009

Bach: Fugues; Emerson String Quartet (Deutsche Grammophon)


Das Emerson Streichquartett, bei einigen Stücken verstärkt um Da-Hong Seetoo, Violine, spielt vier- und fünfstimmige Fugen aus Bachs Wohltemperiertem Clavier. Nun sind Streichinstrumente, anders als beispielsweise ein Cembalo, in ihrer Stimmung nicht auf Kompromisse angewiesen. So erklingen die vertrauten Werke "sauber", aber ungewohnt glatt. Dieser Eindruck wird zusätzlich noch durch die Interpretation unterstützt, der leider die Ecken und Kanten fehlen.
Die Arrangements stammen von Mozart, der Bachs Werke im Hause des Wiener Mäzens Baron van Swieten kennenlernte, und von seinem Zeitgenossen Emanuel Aloys Förster. So klingen die Stücke auch, wie Frühklassik; sehr kultiviert und linear vorgetragen, aber ein bisschen langweilig. Wenn es zu Bachs Zeiten schon Streichquartette gegeben hätte - der Komponist hätte für diese Besetzung ganz sicher etwas geschrieben, zumal für solche exzellenten Musiker wie die Emersons. Aber ob er ausgerechnet das Wohltemperierte Clavier für Streicher bearbeitet hätte, daran habe ich Zweifel.

Samstag, 26. Dezember 2009

Kreuzchorvespern: Uns ist ein Kind geboren (Berlin Classics)


"Geistliche Musik aus Dresden", soll die neue Reihe mit Kreuzchorvespern vorstellen; dem Kirchenjahr folgend, beginnt sie mit dem Advent. Zumindest aus Sachsen stammen in der Tat sämtliche Stücke dieser CD. Allerdings waren die Kreuzkantoren in der Vergangenheit, allen voran der legendäre Rudolf Mauersberger, wohl mutiger als Roderich Kreile, der seinen Chor hier ausschließlich mit Weihnachtsmusik aus dem 16. und 17. Jahrhundert vorstellt.
Die Kruzianer singen mittlerweile wieder auf einem erfreulich hohen Niveau. Sowohl der Chor als auch die zahlreichen Chorsolisten können sich hören lassen. Die Cappella Sagittariana Dresden, bestehend aus Mitgliedern der Staatskapelle, musiziert ohnehin hochprofessionell. Dennoch hätte man von einem solchen Album etwas mehr Sinn für musikalische Dramaturgie erhofft. Eine "reale" Kreuzchorvesper, wie sie in Dresden zu erleben ist, bietet Raum für Orgelklang und Gemeindechoral, Ansprache und Gebet. Auf der CD ist davon leider nichts zu finden; für die nachfolgenden Exemplare wünscht man sich mehr Mut zu Ausflügen in die Moderne, etwas mehr original Dresdner Kreuzkirchenstimmung - und weniger klanglichen Einheitsbrei.

Bach: Goldberg-Variationen; Ragna Schirmer (Berlin Classics)


Hermann Freiherr von Keyserlingk, russischer Gesandter am kursächsischen Hofe, erbat einst von Bach "einige Klavierstücke (...) die so sanften und etwas munteren Charakters wären, daß er dadurch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig aufgeheitert werden könnte".  Spielen musste sie Keyserlingks exzellenter Cembalist Goldberg, mit dessen Namen sie dann schließlich die Überlieferung verknüpfte. Bach selbst nannte sein Werk schlicht "Clavier-Übung", und bezeichnete es als "Aria mit verschiedenen Veränderungen" - für einen Zyklus diesen Formats wahrlich sehr tief gestapelt.
Das ganze Werk ist um die Zahl 32 herum konstruiert: Die Aria besteht aus 32 Takten, und ihre Bass-Stimme wiederum, auf der die Variation beruht, aus 32 Gerüsttönen. 32 Teile hat das Gesamtwerk; göttliche Ordnung gegen irdisches Leiden und menschliche Schlaflosigkeit. Dennoch zeigt Bach Humor - das Opus endet in einem Quodlibet, in dem deutlich erkennbar der Kehraus "Ich bin so lang nicht bei dir gwest" sowie "Kraut und Rüben haben mich vertrieben" erklingen. Darauf folgt dann die Aria da capo.
Ragna Schirmer gelang mit dieser ihrer allerersten CD seinerzeit ein großer Wurf. Diese Einspielung ist ohne Zweifel zu den Referenz-aufnahmen zu zählen; sie gehört in eine Reihe mit Interpretationen wie jenen von Glenn Gould, Keith Jarrett oder Wilhelm Kempff. Schirmer nimmt die Stücke ruhig, aber zugleich erfasst sie mit beeindruckendem Gespür ihren jeweiligen Charakter, und arbeitet jedes noch so kleine musikalische Detail mit großer Sorgfalt heraus. Chapeau! das ist wirklich hörenswert.

Mittwoch, 23. Dezember 2009

Stylus phantasticus (Berlin Classics)


Was ist "stylus phantasticus"? Eine hervor-ragende Möglichkeit jedenfalls, tradierte Formen auszureizen bis an ihre Grenzen - und noch ein gehöriges Stückchen darüber hinaus, wie diese CD beweist. Die norddeutschen Meister des 17. Jahrhunderts setzten auf den Wechsel von freien Passagen, die teilweise wie improvisiert klingen, und streng dem Kontrapunkt folgenden Abschnitten, die jedoch mitunter durch ihre überaus kühne harmonische Gestaltung verblüffen.
Ob Dietrich Buxtehude, Nicolaus Adam Strungk, Matthias Weckmann, Johann Vierdanck oder weniger bekannte Komponisten wie Samuel Peter Sidon, Dietrich Becker oder Thomas Baltzer - es ist erstaunlich, wie unterschiedlich sie die Freiheiten nutzten, die ihnen diese musikalische Innovation brachte. Die Partita in a-moll, komponiert von Johann Adam Reincken für zwei Violinen, Viola da gamba und Cembalo, bearbeitete später Johann Sebastian Bach für Cembalo solo.
Das Ensemble Bell'Arte Salzburg - Annegret Siedel und Ulrike Titze, Barockviolinen, Matthias Müller, Viola da gamba, Zvi Meniker, Cembalo und Margit Schultheiss, Orgel - hat für diese CD eine Reihe typischer Stücke ausgewählt, und das sowohl mit sozusagen pädagogischer Sorgfalt als auch dramaturgischem Geschick. Das Ergebnis ist in jeder Hinsicht gelungen: Eine abwechslungsreiche, spannungsvolle Aufnahme, mit Lust musiziert. Das hört man gern.

Sonntag, 20. Dezember 2009

Vivaldi: Mottetti Sacri - Harmonices Mundi (Stradivarius)


Vivaldi ist allgemein bekannt als Violinvirtuose und als Autor einer Vielzahl von Instrumentalwerken. Doch der Komponist schuf auch zahlreiche Opern, die leider derzeit auf den Bühnen wenig präsent sind, Kantaten und Motetten. Vier geistliche Motetten "per voci, due cori e due orchestre" hat Claudio Astronio für diese Aufnahme mit dem Bozener Barock-Ensemble "Harmonices Mundi" ausgewählt.
Diese vier Werke zeigen einerseits in den Vokalpartien eine große Nähe zur Gattung Oper. Sie nehmen jedoch zugleich in ihrer Doppelchörigkeit Bezug auf die traditionelle Psalmodie, und erweisen so Vergangenheit und Zukunft zugleich auf charmante Weise Referenz. Insbesondere für die Sänger bringen Vivaldis Mottetti so manche Herausforderung.
Musiziert wird in Minimalbesetzung, ohne Netz und doppelten Boden. Das gilt für die Instrumentalisten ebenso wie für die Sänger, die durchweg solistisch agieren - auch, wenn sie "nur" in einem der Chöre zu hören sind. "Lauda Jerusalem" RV 609, "Laudate Pueri Dominum" RV 602/a - mit per Bonustrack beigefügten Alternativfassungen der Verse VI und VII -, "Salve Regina" RV 618 und das Kyrie RV 587 geben den Musikern reichlich Gelegenheit, in wechselnder Formation sowohl solistische Brillanz als auch kollegiales Miteinander zu demonstrieren. Genannt seien hier nur die Solo-Sopranistinnen Susanne Rydén und Gemma Bertagnolli sowie Massimiliano Mauthe von Degerfeld, als Altus im "Salve Regina".
Um es in einem Satz zu sagen: Diese CD, eingespielt in Kloster Muri-Gries, ist ein in vielen Facetten funkelndes Juwel, das die lange Reihe von Vivaldi-Wiederentdeckungen der letzten Jahre würdig ergänzt. Die Interpretation ist exzellent, und der Repertoirewert ist ebenfalls hoch.

Donnerstag, 10. Dezember 2009

Corellisante - Sonatas for Two Violins & Basso Continuo by Corelli & Telemann (Dorian)


Das Ensemble Rebel, benannt nach dem französischen Komponisten Jean-Féry Rebel, ist heute in New York ansässig. Obwohl es 1991 in den Niederlanden gegründet wurde, hat es mittlerweile seinen festen Platz im Musikleben der USA gefunden. So hat Rebel gemeinsam mit dem renommierten Trinity Choir in den letzten Jahren eine Gesamtaufnahme der Haydn-Kantaten eingespielt.
Die vorliegende CD aber kombiniert vier Triosonaten des italienischen Barockkomponisten Arcangelo Corelli mit vier von insgesamt sechs Werken Georg Philipp Telemanns, die er "Sonates corellisante" nannte. Das mag als cleveres Marketing durchgehen; denn erstaunlicherweise sind sich diese Stücke keineswegs ähnlich. Zwar scheint sich Teleman hier und dort tatsächlich am Vorbild Corelli zu orientieren. Doch letzten Endes sind seine Werke - Telemann. Mit den zeittypischen Anleihen unter anderem beim französischen Stil, der damals auch "en vogue" war. Und einem Feuerwerk an musikalischen Einfällen.
Karen Marie Marmer und Jörg-Michael Schwarz, Violine, John Moran, Violoncello, Dongsok Shin, Cembalo und Orgel sowie Daniel Swenberg, Laute, musizieren schwung- und lustvoll, und gerade heraus. So kommt auch beim Zuhörer keine Langeweile auf.

Humperdinck: Hänsel und Gretel (Berlin Classics)


Wie gut, dass es Archive gibt! Berlin Classics jedenfalls hat dort eine ganz besondere Weihnachtsgabe entdeckt: Eine Aufnahme von Humperdincks Märchenoper von einer derart hohen Qualität, dass man nur staunen kann. Was für ein Streichersound, was für ein Hörnerklang, was für eine phantastische musikalische Gestaltung!
Schon während der ersten Takte der Ouvertüre ist wohl jedem klar: Das kann nur die Staatskapelle Dresden sein. Bei dieser Aufnahme aus dem Jahre 1969 wurde sie geleitet von Otmar Suitner. Er verortet Humperdincks Werk irgendwo zwischen Wagner und Strauss - das ist kein Provinz-Weihnachts- märchen, das ist große Oper.
Und obendrein singen einige der besten Sänger, die die DDR seinerzeit aufzubieten hatte. Renate Hoff und Ingeborg Springer sind als Hänsel und Gretel zu hören, Renate Krahmer als Sand- und Taumännchen, Gisela Schröter und Theo Adam singen das Elternpaar. Besonders köstlich: Peter Schreier als Hexe. Der Sänger verlegt sich nicht aufs Chargieren und Knödeln; seine Hexe ist gerade deshalb so bedrohlich, weil sie ihre Partie in weiten Teilen schön singt - vollkommen irre! Als Lebkuchenkinder agieren Mitglieder des Dresdner Kreuzchores.
Wer sich eine wirklich großartige CD zu Weihnachten schenken möchte - diese hier sei wärmstens empfohlen.

Mittwoch, 9. Dezember 2009

Handel: Serse (Deutsche Grammophon)


Händels Oper zeigt ihre Helden in heftiger emotionaler Verstrickung, befangen in Liebeshändeln, himmelhoch jauchzend, voll Zweifel und zu Tode betrübt. Das gibt Anlass zu grandiosen Arien und heftigen Szenen.
Und obwohl die allgemeine Verwirrung für viel Komik sorgt, zeigt der Komponist doch gelegentlich Xerxes auch als den Herrscher von Persien - ein gefährlicher Tyrann, der jederzeit seine Mitmenschen vom Leben zum Tode befördern kann.
Die Deutsche Grammophon macht nun eine Aufzeichnung aus dem Jahre 1965 wieder zugänglich - es war die erste vollständige Einspielung des Werkes in italienischer Sprache. Als sie entstand, war man gerade dabei, Händels Opern wiederzuentdecken - unter Verzicht auf die rabiate Bearbeitungspraxis der Vergangenheit, aber ebenso noch meilenweit entfernt von den Debatten der Originalklang-Jünger.
Wie Brian Priestman, ein erfahrener Dirigent und Händel-Kenner, das Ensemble durch die Oper führt, hätte dem Pragmatiker Händel sicherlich gefallen - schon allein aufgrund des überaus versierten Continuo-Cembalisten Martin Isepp. Die Musiker des Orchesters des Österreichischen Rundfunks spielen auf modernen Instrumenten, aber in kleiner Besetzung. Unter den durchweg hochkarätigen Sängern war ebenfalls kein einziger ausgewiesener Barock-Spezialist. Dennoch überzeugt diese Einspielung, weil sich die Solisten zurücknehmen und auf die reduzierte Klangkulisse einstellen. Maureen Forrester (Serse), Maureen Lehane (Arsamene), Mildred Miller (Armastre), Lucia Popp (Romilda), Marilyn Tyler (Atalanta), Thomas Hemsley (Ariodante) und Owen Brannigan (Elviro) haben ihre Gesangskarrieren längst beendet. Umso erfreulicher ist dieses klingende Zeugnis aus ferner Zeit, das im übrigen auch durch exzellentes Remastering der alten Bänder beeindruckt.

Dienstag, 8. Dezember 2009

Mozart: I Concerti per Flauto e Orchestra (Stradivarius)


In seiner Mannheimer Zeit schrieb Mozart zwei Flötenkonzerte plus das berühmte Andante. Unzählige Flötisten haben diese Werke eingespielt; es stellt sich also die Frage, was Luisa Sello dazu bewogen hat, dem noch eine weitere Version hinzuzufügen. Die Antwort darauf bleibt beim Anhören dieser CD leider aus - eine Aufnahme, die die Welt nicht braucht, zumal auch nicht durchweg mit schönen Tönen.

Handel: Alcina (Deutsche Grammophon)


Am 15. Mai 1959 wollte der WDR aus Köln live Händels Oper "Alcina" übertragen. Doch als die Proben begannen, bemerkten die Verantwortlichen, dass da mehr als ein Problem einer Lösung harrte. Denn Nicola Monti, der Startenor aus Mailand, hatte versehentlich die falsche Partie einstudiert - statt den Ruggiero, Liebhaber der Zauberin und Verlobter der Bradamante, hatte er den Oronte, Feldherr Alcinas, erarbeitet. Und die Sopranistin, die eigentlich die Titelrolle singen sollte, war ein Totalausfall.
Eine Umbesetzung war zwingend erforderlich, und sie erwies sich als Glücksgriff. Denn es sprangen zwei Sänger kurzfristig ein, die leider nie wieder gemeinsam auf einer Bühne standen: Joan Sutherland hatte die Alcina bereits gesungen, allerdings in englischer Sprache, so dass sie "nur noch" den italienischen Text lernen musste. Wie es aber Fritz Wunderlich gelungen ist, sich innerhalb von wenigen Tagen eine derart umfangreiche, anspruchsvolle Partie rundum überzeugend anzueignen, das verblüffte selbst Kritiker und Kollegen.
Komplettiert wurde das Ensemble seinerzeit durch Norma Procter als Bradamante, Jeanette van Dijck als Alcinas Schwester Morgana und Thomas Hemsley als Melisso, Lehrer der Bradamante, sowie den Kölner Rundfunkchor und die Cappella Coloniensis unter Ferdinand Leitner. Sie gehörte zu den Pionieren der historischen Aufführungs-praxis; die Cappella war das weltweit erste Orchester, das auf Originalinstrumenten musizierte und sich um eine stilistisch korrekte Interpretation bemühte.
Wie klingt nun dieses Dokument, das die Deutsche Grammophon im Archiv des Rundfunksenders ausgegraben hat? Erstaunlich modern, frisch und schwungvoll. Die Sänger sind durchweg exzellent, und die Live-Stimmung, die diese Aufnahme prägt, fasziniert bis heute. Denn statt des befürchteten Desasters ereignete sich letztendlich eine jener raren Sternstunden, die das Publikum zu Beifallsstürmen hinreißen - und uns auch heute noch begeistern können, dem Mitschnitt sei Dank. Ein großer Wurf! Auf weitere Entdeckungen darf man gespannt sein.

Montag, 7. Dezember 2009

Christoph Graupner: Suite de Suites; Antichi Strumenti (Stradivarius)


Wer war Christoph Graupner? Seine musikalische Ausbildung erhielt er wohl in erster Linie in Leipzig, wo er auch Jura studierte, bei den Thomaskantoren Schelle und Kuhnau. Dann ging er nach Hamburg, wo er als Cembalist an einem von Reinhard Keiser geleiteten Opernorchester  wirkte und einige Opern komponierte, die offenbar das Publikum begeisterten.
Auch Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt zeigte sich angetan, und nahm Graupner 1709 in seine Dienste. 1722 bewarb sich der Musiker erfolgreich um die Anstellung als Thomaskantor in Leipzig - allein sein Landgraf ließ ihn nicht ziehen, so dass letzten Endes Bach die Stelle bekam. Als der Hofkapellmeister 1754 erblindete und mit seiner Arbeit aufhörte, hatte er  um die 2000 Werke geschaffen, darunter mehr als 1400 Kirchenkantaten und etwa 270 Instrumentalwerke.
Kein einziges Bildnis Graupners aber ist überliefert. Und dass seine Musik heute noch gespielt werden kann, ist einem Zufall zu verdanken. Denn der Komponist hatte verfügt, dass all seine Werke nach seinem Tode vernichtet werden sollen. Doch sein Arbeitgeber war der Meinung, diese seien Eigentum des Darmstädter Hofes - und so kamen sie nach diversen juristischen Scharmützeln ins Archiv. Dort harren sie nun ihrer Wiederentdeckung.
Das könnte sich durchaus lohnen, wie die beiden hier eingespielten Ouvertüren zeigen. 85 (!) davon sollen wohl insgesamt erhalten sein. Die Stücke verweisen auf einen Komponisten, der sein Handwerk überaus solide beherrschte, nicht jeder Mode hinterherlief und sich auch sonst einen gewissen Eigensinn bewahrte. Mit Pauken und Trompeten zelebriert werden die beiden Suiten hier von den "Antichi Strumenti", einem Ensemble aus Frankfurt/Main, das  in wechselnden Besetzungen um Laura Toffetti, Violine, und Tobias Bonz, Violoncello, überwiegend im Elsass agiert. Und diese Aufnahme kann man gut anhören.

Sonntag, 6. Dezember 2009

Per il Santissimo Natale - Deborah York, Elbipolis (Berlin Classics)


Barockmusik zur Weihnacht - festlich, strahlend und wunderschön musiziert. Das Elbipolis Barockorchester Hamburg reiht Stücke aneinander, die zum einen für eine derart kleine Besetzung - zwei Violinen, Viola, zwei Trompeten, Traversflöte und diverse Continuo-Instrumente - geschrieben wurden. Zum anderen folgt die CD inhaltlich der Weihnachtsgeschichte. Und das sorgt zusätzlich für den perfekten Spannungsbogen.
Die CD beginnt mit dem energischem Trompetengeschmetter einer Sonate von Alessandro Melani. Es folgt das Magnificat, in einer hier zum ersten Male eingespielten Vertonung durch Melchior Hoffmann, einen ebenso einfallsreichen wie versierten Musikus, der vor Bach in Leipzig wirkte. Dann hört man die Hirten, wie sie dem Jesuskindchen aufspielen - und zwar die Sinfonia Pastorale per il Santissimo Natale von Francesco Onofrio Manfredini.
Und die Engel stimmen das Gloria an, berichtet die Weihnachtsgeschichte. Auf dieser CD stammt es aus der Feder von Händel; offensichtlich ein Jugendwerk des Komponisten, das erst vor wenigen Jahren im Archiv der Londoner Royal Academy of Music entdeckt wurde. Es verblüfft durch seine kammermusikalische Besetzung, und durch die virtuose Gestaltung des Gesangsparts.
Die CD endet mit einer Weihnachtskantate von Christian August Jacobi, die sozusagen das irdische Echo auf den Lobgesang der Engel darstellt: "Der Himmel steht  uns wieder offen", bekannt durch eine phänomenale Einspielung mit Peter Schreier, erklingt hier in der originalen Version für Sopran. Auch diese Partie kann durchaus  als anspruchsvoll bezeichnet werden.
Das Elbipolis-Orchester spielt mit Lust, und auch die Sopranistin Deborah York hat hörbar Vergnügen an dem Repertoire, das - für die Sängerin wie für die Instrumentalisten - so einige Herausforderungen bereit hält. Doch die Musiker sind dem jederzeit gewachsen. Insbesondere York überzeugt durch einen schlanken, knabenhaften Ton. In den Chorälen ist ihre Stimme gerade heraus zu hören, vollkommen frei von Vibrato, schmucklos schlicht; sie ist jedoch durchaus in der Lage, ihr Timbre einzufärben, wenn dies zum Stück passt. Und ihre Koloraturen perlen wie die winzigen Gasbläschen im Champagner, in perfekten Linien und in teilweise atemberaubendem Tempo.
Diese CD verbreitet Feststimmung, man hört sie gern, und wird sie auch im kommenden Jahr des öfteren wieder aus dem Regal holen. Wer noch ein Weihnachtsgeschenk sucht - diese Aufnahme ist zu empfehlen!

Samstag, 5. Dezember 2009

Es ist ein Ros' entsprungen - Choir and Organ Christmas Music (audite)


Diese Super Audio CD widmen Karin Freist-Wissing, Leiterin der Chor- und Orchester-arbeit, und Stefan Horz, Organist an der Evangelischen Kreuzkirche in Bonn, der Gottesmutter Maria.
Die hierfür ausgewählten Lieder und die Orgelmusik feiern Weihnachten nicht als Fest der Familie, der Freude und der Liebe, sondern sie erinnern daran, dass die Geburt Christi untrennbar verbunden ist mit dem Tod. Die Musiker haben die entsprechenden Stücke mit großer Sorgfalt ausgesucht.
Sie gehen von Praetorius' populärem Lied "Es ist ein Ros entsprungen", und von Kaminskis "Maria durch ein' Dornwald ging" aus - und tragen schon in den Orgelimprovisationen dazu dieses Konzept in die Gegenwart. Statt Wiegenlieder gibt's Max Regers "Ave Maria". Und immer wieder kehren sie zum "Ros" zurück - so in Brahms' Choralvorspiel, in Distlers Choralmotette oder in einem Chorsatz des schwedischen Zeitgenossen Jan Sandström. 
Trotz der drei Bach-Werke am Ende erscheint diese Einspielung spröde, sperrig und seltsam distanziert. Das mag auch mit am Chor liegen: "Vox Bona", Gute Stimme, heißt der Kammerchor der Kreuzkirche Bonn - mit 40 Sängerinnen und Sängern ist das Ensemble freilich üppig bestückt, jedenfalls im Vergleich zu so mancher Chorempore hierzulande. Sie singen wie die Engel, lupenrein sauber, brav und perfekt. Letztendlich aber fehlt mir jener Funke, der Musik lebendig macht. Schade.

Handel for Brass - Schweriner Blechbläser-Collegium (Berlin Classics)


Händel für Blechbläser? Klar! Klingt doch fantastisch, wie dafür geschrieben. Der Schweriner Trompeter Hans-Joachim Drechsler, Gründer des dortigen Blechbläser-Collegiums, macht jedoch im Booklet deutlich, dass derartige Ensembles erstaunlicherweise noch keine lange Tradition haben. Aus diesem Grunde müssen die Stücke für diese Besetzung sehr häufig erst mühsam arrangiert werden.
In dem vorliegenden Falle ist das exzellent gelungen. Das gilt sowohl für die Kreationen der Schweriner als auch für "Die Ankunft der Königin von Saba", wo die Blechbläser ein Arrangement von Paul Archibald spielen - eine Verneigung vor dem legendären Philip Jones Brass Ensemble, gegründet in den 50er Jahren, in dem wohl erstmals Trompeten, Posaunen, Horn und Tuba gemeinsam musizierten.
Das Schweriner Blechbläser-Collegium besteht seit 1975. Und man staunt, dass dieser Klangkörper nicht bekannter ist. Die Qualität dieser Einspielung jedenfalls überzeugt; es wäre erfreulich, wenn Berlin Classics die Zusammenarbeit mit den Schwerinern fortsetzen würde.

Mittwoch, 2. Dezember 2009

Praeludien für die heilige Weihnachtszeit (audite)


Wenn die Orgel Bordunbässe fröhlich dröhnen lässt, wenn die Melodien in Terzen laufen und in Siciliano-Rhythmen daherhüpfen, wenn die Flöten säuseln und die Schalmeien näseln - dann ist Weihnachten, und der Organist spielt Pastorellen. Diese Stücke, die vor allem in Süddeutschland und im Alpenraum bis heute sehr beliebt sind, imitieren die Hirtenmusik. Und Hirten gehören bekanntlich zur Weihnacht, das berichtet ja schon das Evangelium nach Lukas.
Johannes Strobl, Organist an der Klosterkirche Muri im Schweizer Kanton Aargau, hat an diesen stimmungsvollen Miniaturen hörbar Vergnügen. Er registriert geschickt, und spielt temperamentvoll bis virtuos. Und die Stücke, die er ausgewählt hat, sind in der Tat wunderschön. 
Eine Schwäche allerdings hat diese Super Audio CD, das sei nicht verschwiegen. Sie ähnelt in ihrer Überfülle einer großen Packung allerbester Pralinen. Die sind bekanntlich alle appetitlich anzusehen, und schmecken hervorragend. Isst man aber alle auf einmal, hält sich der Genuss arg in Grenzen. So ist das auch mit dieser Einspielung: Portionsweise angehört, bringt sie mehr Freude.

Franz Schubert: String Quartets - Mandelring Quartett, Vol. 1 (audite)


Endlich ist es dem Rezensenten gelungen, ein Abspielgerät aufzutreiben, in dem Super Audio CD laufen (von wegen "Plays on all CD Players!"). Und voll Neugier habe ich gleich zwei Quartette angehört, die schon seit langem bei mir im Regal warten. Das hat sich gelohnt.
Das Streichquartett in Es-Dur D 87 schrieb der 16jährige Franz Schubert zum Gebrauch bei der familiären Hausmusik. Es startet in Haydnscher Delikatesse, ohne sich jedoch wirklich um den Sonatenhauptsatz zu scheren, und es endet eher bei Beethoven. Das Streichquartett d-moll D 810 "Der Tod und das Mädchen" hingegen ist zur Gänze Schubert - hochdramatisch, und wohl auch spieltechnisch eine Herausforderung. 
Das Mandelring Quartett gestaltet Schuberts Musik souverän; die vier Streicher spielen wie aus einem Atem. Ihrer Interpretation zu folgen, ist ein ringsum faszinierendes Erlebnis. In dieser Qualität hört man das nicht oft.